My Home is no Castle
Wiederaufnahme von „Asphaltwelten“ der go plastic company in Dresden Hellerau
TanzNetzDresden erobert mit zwei Produktionen die große Bühne des Festspielhauses in Hellerau
Lauter leere Tüten, aufgestellt in Reih´und Glied, auf der großen Bühne des Festspielhauses in Hellerau. Diesmal nicht in den Seitenräumen, diesmal ganz im Zentrum und dazu mit Rahmenprogrammen auf der Südempore und im Dalcrozesaal. Ein Abend speziell im Rahmen der Reihe Linie 08: Bühne frei für TanzNetzDresden!
Zu sehen gibt es als erstes die Performance „Talk To Me“ von Wagner Moreira. Danach zeigt Cindy Hammer mit ihrer wie immer eigens zusammengestellten go plastic compagnie „go west, young man“.
Zunächst steht ein Performer im verzweifelten Kampf mit der Kommunikationstechnik zwischen allen Türen. Dass er kein Wort versteht, merkt man im Saal sofort, zumal das Stück ja auch „Talk To Me“ heißt. Dass damit nicht nur verbale, sondern im Zeitalter allmächtiger medialer Vorgaben in unheiligen Allianzen mit den Zwängen des Konsums, auch grundsätzliche, existenzielle Verständnisprobleme gemeint sind, ist spätestens dann klar, wenn die Bewegungen der drei Performerinnen und der zwei Performer zu entsprechenden Soundcollagen wie mechanisiert und in mathematischer Exaktheit ausgeführt erscheinen.
Wagner Moreira will mit seiner großflächig und raumgreifend angelegten Arbeit gegen den Mainstream tanzen. Daher wagt er es immer wieder Versuchsanordnungen zu installieren, um seinen Protagonisten die Ohren zu öffnen für die eigenen, die individuellen Klänge aus dem Innern ihrer Körper, als Vorgaben für Tempi und Bewegungen. Auch durchbricht er die Begrenzungen des Theaterraumes, lässt Licht und Luft von außen in den Kunstraum und muss doch vor den mächtigen Dimensionen kapitulieren. Manche Versuche der feindlichen Konsumwelt mit ihrem Sexismus in der Werbung die künstlich in Falten gelegte Stirn zu bieten bleiben hilflos, wie etwa der Versuch sich über die Arbeit von Models als Zielscheibe für genannte Feindwelten zu erheben, ohne auch nur im Geringsten die gekonnte Leichtigkeit ihrer Gangarten zu empfinden. So verliert dieser Talk mit Tanz immer mehr an Spannung, weil es an dramaturgischer Stringenz mangelt, und nach mehr als einer Stunde ist auch das Publikum erschöpft.
Im zweiten Teil präsentiert Cindy Hammer einen Jahrmarkt der Eitelkeiten mit den getanzten Sprechblasen der Comic-Cowboys auf ihren Wegen gen Westen, „go west, young man“. Ihre jungen, mehr oder weniger wilden Kerle sind Joseph Hernandez, Jared Marks, Alex „Kelox“ Miller und Christian Novopavlovski, allesamt eitel bis zur Schmerzgrenze oder albern bis zur Schamgrenze.
Da feiern vier Männer Klischees und lassen es krachen, pinkeln im Stehen, Hosen runter, Hintern raus, Hüftschwung mit Travestieverdacht und vor allem immer schussbereit. Männer sind Cowboys: reiten, schießen, albern sein, rempeln mit Hautkontakt. Mann schmust mit Mann, man tanzt in inniger Umarmung. Männer haben immer Notstand. Schüchtern, verdreht ist der eine, der andere macht auf Macho in Öl, einer sagt wo es lang geht und einer nimmt seinen göttlichen Auftrag ganz ernst, wenn es darum geht, einem anderen beizubringen, wie der richtige Mann richtig gen Westen zu reiten hat. Immer wenn es den Anschein hat, hier ginge es doch nicht ganz mit ernsten Dingen zu, begegnet man der Art, wie Cindy Hammer mit dem ihr eigenen Augenzwinkern, die Frage nach dem, was wirklich ganz typisch männlich ist, ad absurdum führt. Geschickt wählt sie mit ihrer Dramaturgin Susan Schubert ein Genre, das eigentlich erledigt ist. Zuletzt wurde nämlich im Hinblick auf Fragen der Männlichkeit das Cowboy-Milieu in dem Film „Brokeback Mountain“ wieder belebt und zugleich ein Tabu gebrochen, die harten Kerle sind schwul. Auch der Titel ihrer aktuellen Männer-Tanz-Fantasien bezieht sich u.a. auf einen Song, der zeitweilig zur Hymne der Schwulenbewegung wurde und in einem genialen Video dazu militante Männlichkeitsrituale des Ostens im Stechschritt auf dem Roten Platz in Moskau ad absurdum führt. Ob die Kerle wirklich weiter kommen auf ihrem Weg gen Westen bleibt aber fraglich. Es könnte nämlich sein, dass die halbhohe Schwingtür des Bühnenbildes von Benjamin Henrichs eben nicht in den Saloon, sondern in einen Dresdner Vorgarten führt, wo man Bier statt Whisky trinkt und Witze über Schwule macht.
Dadurch, dass Cindy Hammer ihre Produktion nahe am Publikum ablaufen lässt, kann sie zwar kraft der Präsenz ihrer Protagonisten punkten, was aber nicht übersehen lässt, dass auch hier die Dynamik im Verlauf einer Stunde mitunter ganz schön ins Stocken gerät. Ein Original wie den muskelbepackten Sänger, Seemann, Türsteher oder Bodybuilder „Rummelsnuff“, fast nackt in goldenen Höschen, als ‚special Guest’ am linken Bühnenrand ungerührt vom Gerangel der jungen Wilden seine Pokale der Erinnerungen putzen zu lassen, ist inzwischen vielleicht doch nicht viel mehr als ein schöner Gag für Insider.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments