„Peer Gynt“ von Gregor Zöllig und Gavin Bryars. Tanz: Gianni Cuccaro, Brigitte Uray

„Peer Gynt“ von Gregor Zöllig und Gavin Bryars. Tanz: Gianni Cuccaro, Brigitte Uray

Schön gescheitert

„Peer Gynt“ von Gregor Zöllig und Gavin Bryars in Bielefeld

Wie Fantasten wie Peer Gynt in unserer Zeit wohl aussähen, erfährt man leider nicht. Schade. Zurück bleibt der schale Nachgeschmack eines mutlosen Versuchs, das Scheitern eines abenteuerlich kreativen Zeitgenossen ganz cool unromantisch zu skizzieren.

Bielefeld, 25/10/2014

Die Erwartung war groß: wieder ein „Peer Gynt“-Tanzstück. Nach John Neumeiers Ballett wagte sich jetzt Gregor Zöllig mit seiner kleinen Bielefelder Truppe, zeitgleich zum Einstand von Steijn Celis in Saarbrücken, an Henrik Ibsens philosophisch unterfüttertes „Dramatisches Gedicht“ über den norwegischen Fantasten, der auszieht, das Glück zu finden, und lebensmüde heimkehrt, um zu erkennen, dass es Jahrzehnte lang direkt vor seiner Haustür auf ihn gewartet hat: Solvejg.

Die Latte lag hoch, sehr hoch: das NRW-Kultursekretariat Wuppertal gewährte Unterstützung aus dem Fonds Neues Musiktheater. Der britische Komponist Gavin Bryars („Jesus never failed me yet“) sagte Originalkompositionen zu. Neue Tänzer versprachen neue Akzente. Aber, wie Neumeier und Celis, blieb auch Zöllig Ibsens folkloristisch epischer Vorlage treu. Bryars ging gar vor Edvard Griegs unvergleichlich farbenprächtiger, romantischer Partitur förmlich in die Knie. Er orientierte sich an Griegs beiden Peer Gynt-Suiten und ähnlich programmatischen Kompositionen. Beim ersten Hinhören vermisst der Zuhörer in diesen Paraphrasen auf wohlbekannte Themen des Norwegers eigentlich nur Griegs Colorit - und hört allenfalls geleierte Minimalismen. Da muss es doch den wackeren Bielefelder Philharmonikern und der jungen 1. Kapellmeisterin Elisa Gogou ordentlich in den Fingern gejuckt haben.

Die Tänzer hingegen delektierten sich unbeirrt am poetischen Melos von Dichtung und Klang, plappern munter in ihren Muttersprachen. Aber: noch nie wirkte Gregor Zölligs Truppe derart frei, spielfreudig, heiter. Gianni Cuccaro ist als Peer kaum wieder zu erkennen: strahlend, sprunggewaltig, wandlungsfähig vom naiven Kind im albernen Billig-Rolli mit Norwegermuster - das Corps gibt ihm, schrecklicherweise, ein hämisches „Hänschen klein...“ mit auf die Reise - bis zum geläuterten, melancholischen alten Heimkehrer. Mutter Aase (im unerträglich abgedroschenen schwarzen Witwen-Kittelkleid) tanzt Alice Baccile anrührend wie eine Mats Ek-Figur. Pauline De Laet ist die wunderbar verwirrte Braut Ingrid, Brigitte Uray die allzu konform lächelnde, aber geschmeidig tanzende Solvejg, Ursina Hemmi die fröhlich-laszive grüne Troll-Prinzessin, Anna Eriksson die verführerische, rot verschleierte Tochter Anitra eines Beduinenhäuptlings, Simon Wiersma ein grandios bizarrer Vorsteher des Tollhauses, Dirk Kazmierczak der Tod mit pastoraler Aura im Gewand des Knopfgießers.

Die Bühne lässt Ausstatter Hank Irwin Kittel leer und schwarz, akzentuiert den theatralischen Arbeitsraum mit blendenden Lampen- und Scheinwerfer-Batterien, gelegentlich mit mehr oder weniger erhellenden, stereotypen Requisiten, Kostümen oder Accessoires. In diesem finsteren Labor des Nachdenkens über Identitätssuche, Liebe, Sexualität, Hoffnung und Tod, die Zöllig erforschen will, erzählt er reichlich konventionell, aber doch mit überraschend freier choreografischer Handschrift, was ein Provinzpublikum wohl auch von einem „Peer Gynt“-Abend erwartet. Man versteht die Geschichte, man liebt die Tänzer, man summt (innerlich) Griegs Ohrwürmer mit.

Die Bielefelder beten ihre Tanzmacher ohne Wenn und Aber an und feierten die wirklich wunderbar engagierten, ausdrucksstarken Tänzer nicht nur am Premierenabend mit stehenden Ovationen.
 

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