Eine getanzte Tragödie

„Recycling Medea“ ist ein Film von Asteris Kutulas. Mikis Theodorakis und Renato Zanella steuerten Musik und Choreografie bei.

In der bildgewaltigen Filmcollage mimt die Primaballerina Maria Kousouni die starke Protagonistin

November Film & Asti Music, 18/01/2014

„Wäre ich ein Jugendlicher von heute, würde man ganz sicher auch mich als Terroristen bezeichnen“, bekennt der greise Komponist Mikis Theodorakis (Jg. 1925) mit nachdenklichem Gesicht in der Eingangsszene der bildgewaltigen Filmcollage „Recycling Medea“, die im Juni 2013 in Athen ihre Weltpremiere erlebte. Asteris Kutulas, 1960 als Sohn griechischer Emigranten in Rumänien geboren, besuchte nach dem Umzug der Eltern in die DDR die Dresdener Kreuzschule und absolvierte 1984 ein Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Leipzig. Der in Berlin lebende Übersetzer und Autor ist auch als Musikproduzent und Filmemacher erfolgreich.

Seit 1980 arbeitet Asteris Kutulas sehr eng mit Mikis Theodorakis zusammen. Dessen zweiaktige Oper „Medea“ (UA 1991 Opernhaus Bilbao/Spanien) wurde auch für den Veroneser Choreografen Renato Zanella (seit 2011 Ballettchef der Athener Oper) eine grundlegende Entdeckung. Zanella choreografierte für das Vierränge-Logentheater „La piccola Scala“ auf Syros „Medea´s Choice“ nach Euripides und erzählt schnörkellos von der verzweifelten und schließlich die eigenen Kinder mordenden Mutter. Primaballerina Maria Kousouni ist die starke Protagonistin dieses Kammerspiels um Liebe und Verrat. Durch die Schuld der Eltern wird die Zukunft der Jugend verspielt.

Ein Probenbesuch von Theodorakis und Asteris im Mai 2011 wurde zum Ausgangspunkt für dieses ungewöhnliche Filmprojekt. Asteris Kutulas Filmgedicht „Recycling Medea“ entwirft konsequent aus dem Blickwinkel der verlorenen Kinder kühne, manchmal kryptische Assoziationsketten. Interagierend mit einer hochkarätig emotionalen Opern-Einspielung (Russisches Staatsorchester, Glinka-Chor St. Petersburg, Emilia Titarenko/Sopran, Musikalische Leitung Mikis Theodorakis, 1999) führt die Regie die griechische Tragödie (431.v.Chr.) Vers für Vers metaphorisch mit der aktuellen Tragödie Griechenlands und der verlorenen Generationen von Heute zusammen.

Regisseur Kutulas montiert – bestechend in Kameraführung und Bildschnitt − den antiken Mythos im „Ballett als Bühnenstück“ mit dem „Ballett der Straße“ und kreiert durch diese Kollage eine völlig andere Art Opern-Ballett-Dokumentar-Kunst-Film. Im Gegeneinander von Aufführung- und Probensequenzen, Dokumentaraufnahmen rebellierender Jugendlicher in den Straßen Athens gegen eine Übermacht an Polizei und Selbstaussagen der Künstler. Der Zuschauer ist im Sog der körperlichen Beredsamkeit der Tänzer, allen voran der Medea von Primaballerina Maria Kousouni. Mit ihr und für sie choreografierte Zanella sein Medea-Ballett.

Doch Kutulas Film dokumentiert nicht das Bühnenstück, sondern konzentriert sich in mehrfachen, teils rätselhaften Brechungen auf die getanzte Tragödie Medeas im Angesicht der Straße mit vermummten Jugendlichen, bewaffneten Hundertschaften und brennenden Autos. Die Zeit der Unschuld ist vorbei. „Recycling Medea“ beleuchtet mehrschichtig Zeiten des Widerstandes, des Schuldigwerdens, der Perspektivlosigkeit. Text- und Bildfragmente (inspiriert von Lars von Trier, Pasolini, Carlos Saura, Theo Angelopoulus u. a.) eröffnen Gedankenräume. Die Kinder sind tot, das Land stirbt, Theodorakis mit Gasmaske unter den Demonstranten, Medea schaut in die erleuchteten Ränge, ein Vermummter schaut in die Kamera. Kunst und Realität greifen ineinander.

Die epische Erzählweise wird bis in die Typografie betont; gegen die Härte der Euripides-Zitate sind comic-Zeichen gesetzt. Auch die überraschend interpolierte Zitat-Ebene der 15 Jährigen blonden „Unschuld“ – Bellas innerer Monolog sind authentische Zitate aus dem Tagebuch der Anne Frank 1943/44 - konturiert eine plakative Yellow-press Schönheit als Vision ohne Zukunft.

Gewidmet ist die Produktion von Asteris Kutulas und Klaus Salge „den Eltern, die ihre Träume verloren haben und der verratenen Jugend, die um ihre Zukunft kämpft.“ Bereit zum Kindesmord legt Medea auf der Bühne die rote Binde des Gewissens ab; draußen knüppelt die Polizei auf junge Demonstranten ein. Zeitübergreifend katapultiert Kutulas´ melancholisches Epos „Recycling Medea“ unterschwellig Grundfragen der menschlichen Schuld der Elterngeneration in die Gegenwart.

Erstmals ist die finale deutsche Fassung des Films in Anwesenheit des Regisseurs im Berliner Kino Babylon am 18. Januar zu erleben. Danach ist „Recycling Medea“ zu sehen in München am 2. Februar (Kino Gasteig) und in Köln am 23. Februar (Filmforum).

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