la création du monde 1923-2012, reconstitution 1923: Millicent Hodson and Kenneth Archer, dialogue with the Swedish ballets, Creation 2012: Faustin Linyekula
la création du monde 1923-2012, reconstitution 1923: Millicent Hodson and Kenneth Archer, dialogue with the Swedish ballets, Creation 2012: Faustin Linyekula

„Inter-Kulturaltät“– Missverständnisse vorprogrammiert?

Thema der Spielzeit 2012/13: Trends, Theorie und Praxis in der europäischen zeitgenössischen Tanzszene

Einer der Schwerpunkte des diesjährig in Düsseldorf zum vierten Mal stattfindenden Tanzkongresses mit dem Leitmotiv „Bewegungen übersetzen – Performing Translations“ lag auf den Übersetzungsprozessen von kulturellen Unterschieden.

München, 30/07/2013

„Interkulturalität“ könnte Un-Wort des Jahres werden. Nicht weil es nicht wichtig wäre sich unserer post-postkolonialen Wirklichkeit mit einer globalisierten Gesellschaft auseinanderzusetzen, die durch kulturelle Vielfalt glänzt. Sondern weil sich das Thema zum Trend etabliert und Trends die unangenehme Eigenschaft haben, drei Schritte vorauszueilen, ohne nach links und rechts zu schauen. Auch in der zeitgenössischen Tanzszene wimmelt es von Bemühungen etwas „Interkulturelles“ zu machen. Tanz im August verspricht ein „faszinierendes Ineinanderspiel von verschiedenen Zeiten und Kulturen, das lokale Traditionen, regionale Historie und globale Themen verbindet“, ImpulsTanz wirbt mit dem Programmschwerpunkt „East-West Meetings“ und zeigt zwei Produktionen von Akram Khan, der neben Sidi Larbi Cherkaoui und Faustin Linyekula auf keinem der zeitgenössischen Festivals fehlen darf. Man könnte meinen das „In“ der Kulturalität hätte sich selbstständig gemacht und geistere autonom durch die Tanzwelt.

Da bietet es sich natürlich an, dass sich der Tanzkongress 2013 – diesjährig in Düsseldorf stattfindend – ebenfalls das Thema der (kulturellen) Übersetzung auf die Fahnen schreibt. Der Tanzkongress als Plattform aktueller Tendenzen und Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz-Theorie-Diskurs hätte sich mit seinem weitgefächerten Programm und vielschichtigen Zugängen als Podium dieses Themenfeldes durchaus angeboten. Doch dafür wäre ein differenzierter Umgang mit den „eigenen“ (gegenüber „fremden“) Gedanken, Begriffen und Theorien nötig gewesen. Der Konjunktiv spricht für sich, denn die Selbstreflektion fehlte an vielen Stellen und führte zu (nicht immer produktiven) Missverständnisse. Eines davon ereignete sich dann auch gleich in der Auftaktveranstaltung. Jean-Luc Nancy, umjubelter Philosoph und Theoretiker traf in einer Gesprächsrunde auf Faustin Linyekula, Star der „interkulturellen“ zeitgenössischen Tanzszene. Vielleicht etwas viel des Prestige-Kults für eine einzige Veranstaltung, jedenfalls verlief die Zusammenkunft in eine absurde Richtung. Nancys erste Frage in welcher vermeintlich afrikanischen Sprache der Monolog des schwarzen Tänzers Djodjo Kazadi denn gehalten worden sei, ist ziemlich peinlich, zumal französisch die Muttersprache des Philosophen ist. Nach dieser grandiosen Fehleinschätzung war nicht mehr viel zu retten, vor allem weil Linyekula immer wütender und Nancy immer philosophischer wurde und sich in belehrenden Monologen flüchtete, während er zugleich versuchte dem (jungen) Publikum zu erklären wer Nietzsche sei. Ein denkbar schlechter Ausgangpunkt für die drei folgenden Tage Kongressprogramm, oder auch eine Chance, genau dieses Missverständnis zu verstehen und gemeinsam mit Linyekulas Bearbeitung der „Création du Monde“, dem ersten „ballet nègre“, das 1923 den naiv exotistischen Blick auf das kolonialisierte Afrika wirft, als Diskussionsgrundlage zu nutzen. Aber dadurch dass Linyekula (zurecht) wütend und alle anderen Kongressteilnehmer (nicht zurecht) von diesem ersten misslungenen und einseitigen Austausch eingeschüchtert waren, kam bei den folgenden Gesprächsrunden - zumindest zu diesem Thema - enttäuschend wenig heraus.

Die Chance, die die Cultural Studies mit sich bringen, liegt in der Selbstreflektion. Denn um etwas „Fremdes“ klassifizieren zu können, muss man zunächst das „Eigene“ hinterfragen lernen. Die Bereitschaft die selbsterbaute akademischen Routinen zu eruieren und vor dem eigenen kulturellen Hintergrund zur Diskussion zu stellen erscheint als notwenige Konsequenz bei einem Tanzkongress, der es sich zur Aufgabe macht über Übersetzungsprozesse zu reflektieren. Leider ist dieser Anspruch, wie das Beispiel Linyekula/Nancy eindrücklich zeigt, wohl zu hoch gesteckt.

Es muss möglich sein sich über das Thema der kulturellen Verständigung auf Augenhöhe austauschen zu können – aber dafür muss die Augenhöhe erst einmal geschaffen werden, die Ansichten des Gegenübers verstanden, seine Auffassung von jener oder dieser Theorie begriffen werden. Im kulturellen Miteinander helfen überhöhte „political correctness“-Ansprüche ebenso wenige wie gutgemeinte Globalisierungsbemühungen. Zwischen all den Anführungszeichen bleibt kein Platz für Konfrontation. Und die ist wichtig, wenn es um Übersetzungsprozesse von kulturellen Unterschieden geht - statt Unterschiede nihilieren, übersehen, überschreiben, sollten diese sowohl verstanden als auch (selbstreflexiv) hinterfragt und diskutiert werden.

Dabei waren die Voraussetzungen des von Katharina von Wilke und Sabine Gehm kuratierten Programms tatsächlich vielversprechend. Die beiden Kuratorinnen gestalteten die thematische Setzung absichtlich offen und schlossen nicht nur kulturelle sondern auch alle anderen Übersetzungsprozesse (von Sprache in Körper, vom kulturellen Erben ins „Zeitgenössische“) in das facettenreiche Programm ein. Grundsätzlich eine gute Idee, zumal sich die beiden Trends, die sich zur Zeit (oder schon seit einiger Zeit) im zeitgenössischen Diskurs etablieren, nämlich „kulturelles Erbe“ sowie „interkulturelle Verständigung“ thematisch sinnvoll miteinander verknüpfen ließen. Schließlich bilden Werkbegriff und das umstrittene „Original“ einer re-konstruierten Tanzaufführung, eine ähnliche (begriffliche) Projektionsfläche wie der im akademischen Diskurs viel problematisierte Kulturbegriff. Denn ebenso wie sich keine einheitliche Vorstellung von einem „Orginal“ (er)fassen lässt, entpuppt sich auch die begriffliche Reduktion auf etwas, das „Kultur“ ausmacht und sein kann, als ein komplexes Wechselspiel aus Zuschreibungen und Vorstellungen, die je nach eigenem (kulturellen) Hintergrund variieren. „Culture“ wie Camille Camillerie es umschreibt, „is a kind of shaping, of specific ‚inflections’ which mark our representations, feelings, activity – in short, and in a general manner, every aspect of our mental life and even of our biological organism under the influence of the group.“ (Camillerie Camille: Culture et sociéetes: characters et fonctions, zitiert nach: Pavis, Patrice: The Intercultural Performance Reader. 1996, S. 3) Begreift man „Kultur“ in diesem Sinn als eine Art Knotenpunkt, der die sozialen Zuschreibungen verschiedener nationaler Gruppen sammelt und generalisiert, so zeigen sich die zurzeit im wissenschaftlichen Diskurs populären Begriffe „Interkulturalität“ und „Transkulturalität“ problematisch. Vor allem der Zusatz „Inter-“ vor der Kultur lässt diesen Begriff unzureichend erscheinen, denn denkt man an andere Begriffspaare, welche die Vorsilbe „Inter-“ teilen, wie beispielsweise der ebenfalls viel diskutierte Begriff „Inter-medialität“, so initiiert das „Inter-“ immer eine Abgrenzung verschiedener Medien, oder eben Kulturen, zwischen denen ein Austausch stattfindet. Damit wird aber die Idee einer fixierten Kultur, die als solche existiert und nicht in sich schon dynamisch organisiert ist, in einer paradoxen Rückkoppelung erneut betont.

Schade, dass es trotz aller (zeitlichen) Überschneidungen, kaum thematische Verknüpfungen zwischen diesen beiden Bereichen gab. Vielmehr hatte man das Gefühl, man müsse sich zwischen Beidem entscheiden, oder (und das ist eine noch schlechte Variante) von einem Vortrag zum nächsten hetzen um alle Themengebiete mitzubekommen. „Flanieren“, eine Strategie, die Arnd Wesemann in seiner Vorbesprechung des Tanzkongresses vorschlug, war dabei nicht möglich. Denn der Trend eilt voran, ohne das man hinterherkommt und ohne dass er einem die Möglichkeit für ein nötiges (gedankliches) Verschnaufen gibt, dass er dem Themengebiet der Inter?-Kulturalität schuldig bleibt.
 

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