„Dornröschen“ von Nacho Duato. Tanz: Rishat Yulbarisov, Marat Shemiunov

„Dornröschen“ von Nacho Duato. Tanz: Rishat Yulbarisov, Marat Shemiunov

locker, leicht und sauber

Michailowsky Ballett mit „Dornröschen“ zu Gast in München

Nacho Duato entstaubt den Ballettklassiker und überzeugt das Münchner Publikum

München, 25/04/2013

Auf das Wiedersehen mit dem Katalanen Nacho Duato jetzt in der Münchner Ballettwoche des Bayerischen Staatsballetts (bis 29. 4.) war man gespannt. 1983 gelang Duato, da tanzte er gerade mal drei Jahre in Jiri Kyliáns Nederlands Dans Theater, ein großer choreographischer Wurf mit dem Stück „Jardi Tancat“ (am 28. 4., 11 Uhr, Nationaltheater, in der Heinz-Bosl-Ballettmatinee der Junior Company). Es war der Start für eine Steil-Karriere als Modern-Dance-Choreograf, von dem das Bayerische Staatsballett übrigens 2000 das Bach-Ballett „Vielfältigkeit, Formen von Stille und Leere“ erwarb.

Und jetzt kam Duato, was die Spannung erhöhte, mit „Dornröschen“. Würde er den Tschaikowsky-Klassiker in Inhalt und Form heutig gewendet haben, wie der schwedische Modern-Dance-Kollege Mats Ek es bei „Dornröschen“, „Giselle“ und „Schwanensee“ praktiziert hat? Überraschung. Das St. Petersburger Michailowsky Ballett, das Duato seit 2011 leitet, tanzte ein blitzsauberes klassisches „Dornröschen“. Im krassen, regelrecht schmerzenden Gegensatz dazu spielte das Staatsorchester unter Dirigent Valery Ovsianikov überlaut bollernd und insgesamt lieblos.

Duato hat die Reihe der historischen Fassungen gut studiert: Vom Hofstaat bis zur Prinzessin Aurora, ihrem hundertjährigen Schlaf und dem schließlich sie wachküssenden Prinzen – alles da. Sogar die traditionellen Märchenfiguren: Rotkäppchen und der Wolf, der gestiefelte Kater und sein Kätzchen, der blaue Vogel und seine Florine, sie tänzeln zum Hochzeitsfest ihre Pas de deux, wie schon in Marius Petipas Ur-Version von 1890. Und doch wirkt das Ballett frisch durchgelüftet.

Die königlichen Räume (Ausstattung: Angelina Atlagic), unbeschwert von fürstlichem Prunk-Dekor, sind licht. Park- und Waldszenen scheinen von Watteau inspiriert. Auch kaum noch eine Spur vom traditionell barocken Schnitt im Kostüm, von der barocken Linie im Tanzstil.

Im Vokabular hat Duato ganz deutlich sein modernes Bewegungsgefühl spielen lassen. Die Ports de bras, nicht mehr scharf konturiert „gesetzt“, fließen weich, und zwar ganz modern unmittelbar aus der Körpermitte. Das wird schon zu Beginn sichtbar im Prolog, mit tanzenden Hof-Damen und -Herren, die fast eine heutige Ballgesellschaft abgeben. Noch mehr Freiheiten hat er sich bei den Feen-Variationen genommen: die Arme der Tänzerinnen wagen da ganz unorthodoxe verspielte Bewegungen, die sehr schön das Weibliche, das Verführerische herausstellen. Irgendwie werden vor allem die weiblichen Märchenfiguren des Balletts hier zu wirklichen Frauen. Die Aurora von Oksana Bondareva, eine zierliche, technisch brillante Ballerina, wagt es sogar, ihren wunderschönen Soli und den Pas de deux mit Prinz Désiré, dem exzellenten sprung-leichten Leonid Sarafanov, einen kokett flirtigen Charme zu geben.

Auch sonst hat Duato ein bisschen Eigenprofil hineingebracht: Auroras Begegnung mit den vier prinzlichen Brautwerbern erschöpft sich nicht in ihren Balancen und den von den Männern in ihrer Taille angeschobenen Drehungen. Hier choreografierte er ein richtiges kleines umeinander kreisendes Ballett für diese fünf Protagonisten. Andererseits hat er, als Ausgleich vielleicht für die explizit vielfältigere Torsobewegung, das ursprünglich sehr komplexe (Fuß-)Schritt-Material „luftiger“, das heißt: für seine Tänzer leichter tanzbar gemacht. Für den Ballettomanen ein Verlust. Aus Duatos Sicht aber verständlich. Das Michailowsky-Ballett muss alle Stile bis hin zum Modernen und zum Zeitgenössischen beherrschen, ist also kein rein klassisches Ensemble. Und kann, trotz seiner hohen Qualität, tanztechnisch nicht mit dem viel größeren, finanziell auch besser gestellten St. Petersburger Mariinsky oder dem Moskauer Bolschoi konkurrieren. Das Michailowsky ist dafür, wie sein Vorgänger, das Maly Ballett, immer auch ein experimentierendes Ensemble.

Es soll leider, wie man hört, bankrott sein. Für Nacho Duato wohl weniger schmerzhaft: er wird ab 2014, als Nachfolger von Vladimir Malakhov, das Staatsballett Berlin leiten.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern