„Heroes – Heldenmythen im Tanz“ am Theater Augsburg. Tanz: Ami Takazakura, Piotr Klimczak, Yvonne Compana Martos, Stacey Camparo, Riccardo De Nigris, Jacob Bush

„Heroes – Heldenmythen im Tanz“ am Theater Augsburg. Tanz: Ami Takazakura, Piotr Klimczak, Yvonne Compana Martos, Stacey Camparo, Riccardo De Nigris, Jacob Bush

Getanzte Heldensagen

Gelungener Ballettabend: „Heroes - Heldenmythen im Alltag“ am Theater Augsburg

Vieles wird vom neuen Ballettabend des Theater Augsburg in starker Erinnerung bleiben: Die inhaltliche Treffsicherheit von Choreografin Regina van Berkel, die wie nackte Engel in Zeitlupe herabfallenden Tänzerinnen und Tänzer in Stéphen Delattres großartiger Neukreation.

Augsburg, 15/01/2013

Vieles wird vom neuen Ballettabend des Theater Augsburg in starker Erinnerung bleiben: Die inhaltliche Treffsicherheit von Choreografin Regina van Berkel, die wie nackte Engel in Zeitlupe herabfallenden Tänzerinnen und Tänzer in Stéphen Delattres großartiger Neukreation – Videokünstler Michael Tietze hat sie formschön und sinnlich in einen großartigen Loup gebannt, der die ganze Breite der Bühnenrückwand auf der neu eröffneten brechtbühne bespielt. Dann die spröde, eigentümliche Spannung der anmutsvoll-gespenstischen, schwarzen Chimärenkörper von Douglas Lee, einem der spannendsten Choreografen in Europa derzeit: auch der tief berührende Bewegungsfluss, den Can Aslan initiierte, oder das überhitzte Gejohle der Masse vor dem Müllhaufen der Zivilisation, in Szene gesetzt von Maurice Causey.

Alle fünf hatten zum Thema „Heroes – Helden“ gearbeitet, so der Arbeitsauftrag von Robert Conn, der sich mittlerweile seiner sechsten Spielzeit als Ballettchef in Augsburg erfreuen darf. Jeder Einzelne sollte sich dabei nicht nur individuell äußern dürfen, sondern seine Kreation auch in ein Gesamtkonzept einbinden lassen, das Conn dramaturgisch mit Dana Dopheide und ausstattungstechnisch mit Verena Hämmerlein betreute.

Die logistischen und inhaltlichen Anstrengungen, die das ehrgeizige Projekt an einem – man betone – Stadttheater mit sich brachten, haben sich gelohnt: „Heroes“ kann – neben „Forever Young“ aktuell am Bayerischen Staatsballett oder dem parallel zu München und Nürnberg laufenden Aufbau eines europäischen Spitzenrepertoires – locker zu einem der spannendsten und wichtigen Ballettabenden der Saison in Bayern gezählt werden.

Der Grund liegt nicht so sehr im zugegeben zeitgemäßen Thema: Helden sind heute überall und im mythologischen oder historischen Rückblick sowieso zu finden. Sie dienen, altruistisch betrachtet, der Wertschöpfung sowie der Sinnkonstruktion menschlichen Handelns. Zum Ausdruck kommt dies in den immer wieder eingespielten kurzen Berichten von Menschen in Augsburg, die nach ihren Helden gefragt wurden.

Unter dem Blickwinkel der Ironie kann mit Helden jedoch auch ganze Arbeit leisten, menschliche Existenzweisen als oberflächlich, triebhaft und sinnentleert zu dechiffrieren. Eindrucksvoll führt Regina van Berkel dies gleich zu Beginn vor Augen. Man sitzt kaum, da nimmt man bereits die Tänzer wahr, wie sie in Jeansfetzen und mit verschlossenen Gesichtern – die Mädels mit hoch auftoupierter Rokoko-Haarpracht – vor goldener Tür einen Catwalk entlang stolzieren. Models, Mozart, Rockstars, wen auch immer sie aus dem alltäglich in Medien und Gedächtnissen aufmarschierenden, kollektiven Volk der populären Heldenmythen assoziieren – van Berkel setzte den richtigen Kommentar am Anfang. Schade war hier nur, dass das allzu dick aufgetragene Kostümbild und die athletische, jahrelang an Forsythe geschulte Bewegungssprache zu wenig Raum ließen für ihren etwas klischeehaften Versuch, hinter den inszenierten Masken den verletzlichen, animalischen oder auf brüchigem Boden stehenden Menschen zu zeigen. Riccardo De Nigris tierhaftes und die Zuschauer besteigendes Röcheln wirkte in diesem Kontext dabei leicht peinlich.

Gleichsam den Gegenentwurf oder vielmehr: die Aufhebung jeder Notwendigkeit eines Heldengedankens leistete Can Arslan mit einer sinnlich-fließenden Kreation für acht Tänzerinnen und Tänzer, die trotz fast konventionellem Bewegungsvokabular in ihrer inneren Ruhe und energetischen Ausdehnung, ihrer selbstverständlichen Anmut und seelischen Offenheit außergewöhnlich war. Mutig auch, wie konsequent er sich in Anlehnung an antike Mythologien, hier die ägyptische Mondgöttin Isis, zu spirituellem Gedankengut bekannte.

Crazy im Vergleich dazu Douglas Lees bezaubernd-bizarre Schöpfung „Chimera“ für Minimal Music für Flöte und Elektronik. Sein Werk ist, wenn man so will, auf der Basis der Monsterfabel der Chimäre vor allem Wirkung, weniger Darstellung: Minutenlang schafft er mit sich roboterhaft bewegenden und virtuos sich umschlingenden und in den Raum hineinspreizenden vier Tänzerinnen und Tänzern in rauchgeschwängerten Szenerie eine Atmosphäre, in der zunehmend zwingend Respekt und Achtung vor dem Erlebten eingefordert schien.

Ähnlich tief wie Arslans Werk schließlich Stéphens Delattres „A suspended Moment of Vulnerability“. Das ganze seltsame, Bedrohungsszenarien evozierende Gerede im Programmheft von Viren und Impfstoffen beiseite lassend, wurde man Zeuge eines grandios pathetischen, an Darstellungen auf antiken Tempelfriesen erinnernden Entwurfs über das alte Thema von Engel und Teufel, vom Sterben und wieder Auferstehen, von der Fragilität menschlichen Seins und seiner dadurch bedingten Schönheit. Auffallend anmutig, kraftvoll hier: Theophilus Vesely.

Wunderbar schließlich der Schluss, kreiert von Maurice Causey: Auch hier ist der narrative Ansatz zu vernachlässigen, den er unter Bezug auf die amerikanische Friedensläuferin Mildred Norman Ryder gewählt hat. Bedeutsamer ist, dass sich anhand seines Parts Conns hochklassig trainierte Compagnie endgültig als jene in Süddeutschland entdecken lässt, die eine hochartifizielle, aktuelle Ballettästhetik auf die Bühne zu zaubern vermag und gleichzeitig souverän eine Kreation zu tanzen weiß, die im ironischen Ton der Inszenierung, in der Popularität des Bewegungsvokabulars in starker Nähe zum Zeitgenössischen Tanz, und im Umgang mit der Bühne – ein riesiger Müllhaufen, der neben einem verhungerten Warten-auf-Godot-Bäumchen nach vorne quillt – in nichts den Bühnenfantasien etwa einer Constanza Macras nachsteht. Causey forderte die Tänzerinnen und Tänzer heraus, sich noch einmal ganz zu geben – stimmlich, stilistisch, darstellerisch, was ihnen herrlich gelingt, mit einer herrlich anmutigen Janet Sartore als Solistin. Was für ein großes Spektrum, harmonisch integriert. Bravo.
 

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