„Ein Haus nur für den Tanz“
Ein Gespräch mit Sasha Waltz anlässlich der Verleihung des Deutschen Tanzpreises
„Körper - S – noBody“ von Sasha Waltz and Guests auf DVD
Mit dieser Trilogie schaffte Sasha Waltz 2000-2002 den Durchbruch. Der Erfolg hält bis heute an: In diesem Jahr ist sie unter anderem mit ihrem Tanzensemble beteiligt an „Carmen – Tanzprojekt 2012“ mit 120 Schulkindern und den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle. Zehn Jahre nach den Premieren wirkt der besondere Reiz der Produktion mit viel Mut zum Risiko immer noch. Überwältigend und gedehnt überzogen - meditativ und explosiv dynamisch - wie verloren im riesigen Raum, intim im engen Fokus der Großaufnahme - pathetisch mit großer Geste und simpel geradeaus in der Pose - der einzelne Körper als Spielfläche, die Verdichtung zur kompakten Körpergruppe in maximaler Enge. Ein überbordendes Anschauungsmaterial für interessierte Zuschauer und choreografisch Engagierte bietet Sasha Waltz’ Trilogie über den menschlichen Körper: „Körper - S – noBody“.
Selten gewähren Choreografinnen einen so tiefen Einblick in ihre Arbeit wie Sasha Waltz in diesen drei DVDs. Zu verfolgen (in beliebiger Wiederholung) ist die konsequente Entwicklung einer Idee von der drangvollen Enge der Körper in einer Art Schacht („Körper“), über den sich überlagernden Abrissen, Kreide auf der Wand, (Ende „Körper“) über das Verlöschen ins Dunkelheit („S“) bis zum Verschwinden in einem Schemen hinter einer milchigen Glasscheibe („noBody“). Waltz hat den Themenkomplex diszipliniert abgearbeitet, von 2000 bis 2002 entwickelt. Die Entwicklungsstufen lassen sich nachvollziehen, ihre Beherrschung des Raumes, groß wie eine Kathedrale, scheint bis zu „noBody“ immer souveräner zu werden. Diesen Eindruck bewirken nicht ausschließlich ihre choreografischen Mittel, vielmehr spielen die gezielt eingesetzten Mittel des Films eine fast größere Rolle: Von Farbe zu Schwarzweiß (und einer gewissen Unschärfe) und wieder zurück, die formatfüllende Großaufnahme verdichtet technisch und dynamisiert, die Vogelperspektive weitet den Blick, in die Bewegung eingebunden, reißt die Kamera unwiderstehlich mit. Die raschen Szenenwechsel halten das Auge auch dann wach, wenn sich die Schritte ermüdend wiederholen. Einer der Höhepunkte ist sicherlich der lockere Gleichschritt von Tänzerin und projizierter Giraffe, von Mensch und Tier („S“). Die Vielfalt der Körper von Männern und Frauen, hochgewachsen und zierlich, nackt sowie teilweise bekleidet oder komplett angezogen, sie offenbart eine Entdeckungsreise ins (Un-)Bekannte: Die Seele, das Wesen ist im Körper? Die Haut als Vermittlungsorgan zwischen dem Innen und Außen? Ohne Scheu agieren die Tänzer/Innen nackt, folgen insbesondere in „S“ dem Weg von Waltz über die Grenzen des „Anstands“ hinaus.
Erotisch, auch sexuell in fast brutalen Liebes(?)Spielen getönt, aber nicht obszön oder pornographisch, weil in sich ruhend, nicht spekulativ auf Außenwirkung getrimmt. Walz geht weiter hinaus: Ekel und Faszination halten sich die Waage, als aus Kostümen Flüssigkeiten auf die Partner, auf den Boden strömen, in denen sich die Tänzer/innen „suhlen“. Erprobt wird in „Körper“ die Tragfähigkeit der Haut. Hände greifen in die Haut, formen quasi Griffe daraus und tragen den Körper weiter, wenden ihn, heben ihn, dass einem Angst und Bange wird, das „Material“ könnte reißen. Tut es aber nicht. Mit Doppelwesen driftet das Geschehen ins Fantastische, das immer wiederkehrt.
Rätselhaft bleibt es in „noBody“. Tod und Melancholie, Depression, Trance, Ekstase - unbelastete Ausgelassenheit hat hier keinen Platz. Alles scheint mit Bedeutung aufgeladen zu sein. Die Frage „mit welcher?“ und „gibt es eine?“ oder ist’s nur „l’art pour l’art?“, eine Art Selbstbefriedigung? bleibt meist unbeantwortet, hindert aber nicht am Genuss, diesen 26 kraftvollen, dynamischen Tänzer/Innen zuzuschauen, ihre starke Persönlichkeit und Präsenz zu bewundern. Obwohl kaum je eine Miene verzogen wird, lässt die Faszination kaum je nach. Wie auch in den vorigen zwei Teilen. In „noBody“ erscheint wie am Anfang eine Gestalt hinter einer mattierten Scheibe mit einem Spalt in der Mitte. Schemenhaft, als gehöre sie in eine andere, nicht greifbare Welt. Mit diesem dauerndem Chargieren zwischen den scheinbar realen, den unbestimmten und den surrealen Welten baut Sasha Waltz eine starke Spannung auf, die auch bei nicht so inspirierten Bewegungsfolgen hält. Ihre oft positiv ausufernde Fantasie öffnet immer neue Räume.
Die drei DVDs sind anregendes Futter für Augen, Gehirn und Herz. Bei jedem wiederholten Anschauen lässt sich Überraschendes entdecken. Kaum etwas Besseres lässt sich über eine künstlerische Produktion sagen.
22.01.2000 „Körper“ (59 Min. + 30 Min. Bonus) mit 14 Tänzer/Innen 7.11.2000 „S“ 66 Min. (+ 20 Min. Bonus) acht Tänzer/Innen 23.2.2002 „noBody“ 85 Min. (+ 8 Min. Bonus,) 26 Tänzer/Innen DVD bei Amazon bestellen!
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