Mit Martha Graham im Probensaal

Sarah Rubins Mädchenroman bietet mehr als einen rosa Einband

Carlsen Verlag, 24/09/2012

„Es stimmt, meine Nase ist zu breit und ich habe Sommersprossen vom Scheitel bis zu den Zappelzehen. Und vielleicht stehen meine Ohren ab wie Becherhenkel, aber Anmut hab ich wohl. Ich habe mehr Anmut im kleinen Zeh als euch überhaupt in die Birne geht. (...) Ich bin zum Tanzen geboren, ich bin eine waschechte, lichtfeste Tänzerin. Und ich höre nie auf.“

Casey Quinn nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie über ihren Weg in die New Yorker Ballettwelt berichtet. Sie spricht frei von der Leber weg, und das nicht supercool und lustig wie Hannah Montana, sondern gewunden und ausdrucksstark. „Ein Traum und zwei Füße“, geschrieben von der Ostküsten-Amerikanerin Sarah Rubin, behandelt das alte Thema „Mädchen will Tänzerin werden“ – doch es gleicht herkömmlichen Tanzgeschichten, vor allem denjenigen im Fernsehen, wenig.

Das fängt schon bei der Szenerie an. Casey lebt im Jahr 1959 in South Carolina, in einem Dorf namens Warren. Die Familie ist nicht intakt: Der Vater starb im Koreakrieg, Mutter und Großmutter putzen im Krankenhaus, es fehlt an Geld. Dennoch will Casey zum Vortanzen nach New York – George Balanchines Ballettakademie lädt ein. Es bleibt ihr also nichts übrig, als Geld für den Greyhound-Bus zu verdienen und alleine auf große Fahrt zu gehen. Ein Auto, wie die Eltern ihrer Konkurrentin Ann-Lee „Protz“ Ryder, hat ihre Mutter natürlich nicht. Für heutige Kinder, die ständig unter dem Pantoffel der Eltern stehen, ist so eine Fahrt undenkbar und gerade deshalb unglaublich spannend. Jedoch ist es für junge Leser schwer, Caseys Alter heraus zu finden. Der einzige Hinweis ist der, dass sie gerade von der Grundschule auf die Highschool wechselt. Dass das in den USA einem Alter von zwölf entspricht, weiß niemand, vielleicht hätte man hier Raum für eine Fußnote geben sollen. Im Übrigen ist die Übertragung aus dem Englischen aber gut gelungen. Übersetzerin Sophie Zeitz lässt die Großmutter und die Mutter „Omi“ und „Mama“ sein, statt Granny und Mom, womit sie sich im Rahmen des kindlichen Erfahrungshorizonts bewegt. Gleichzeitig belässt sie es bei „Mr. Ryder“ und bei „Thanksgiving“, behält also ein starkes, aber unaufdringliches amerikanisches Kolorit bei.

Mit aktuellen TV-Serien ist das Buch sowieso nicht zu vergleichen, weil es schwere Themen angeht. Schon die Tatsache, dass ein Mädchen zu Wischmopp und Eimer greift, um sich beim Putzen Geld für einen Traum zu verdienen, ist ungewohnt. Auch die Aufnahmeprüfung an der Akademie läuft nicht wie im Disneyfilm. Letztlich muss Casey auch noch den Tod ihrer Omi verarbeiten. Ein Erzählstrang, den Autorin Rubin einfühlsam fortführt, ohne den jungen Lesern Angst zu machen – und den sie letztlich mit Caseys tänzerischer Entfaltung in Martha Grahams Ballettkompanie verknüpft. Martha Graham, die große Modern-Tänzerin der 60er und 70er Jahre, ist schlussendlich der Grund, weshalb „Ein Traum und zwei Füße“ auch Erwachsenen Spaß macht. Sie gehen mit Casey in den Probensaal, sehen den Graham-Tänzern bei ihren Dehnungen zu. Und sie begegnen Martha. „Miss Martha fängt zuerst an“, erzählt Casey, „und ihre Arme fliegen durch die Luft um mich herum. Sie tanzt die gleichen Bewegungen, die Edith getanzt hat, doch bei ihr sehen sie ganz anders aus. Miss Marthas Bewegungen sind voller Kummer. Sie springt nicht so hoch wie Edith, aber dafür tanzt ihr Gesicht, als wäre es ein eigenes Ensemble.“ Kurz, das Buch ist bedeutend besser als sein Klappentext, der einen banalen Zickenkrieg verspricht. „Ein Traum und zwei Füße“ ist eine bodenständige Geschichte über ein Mädchen, das früh erwachsen werden muss und das sich zu helfen weiß.

Sarah Rubin: „Ein Traum und zwei Füße“; Carlsen Verlag, 13,95 Euro

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