Zwischen Zensur und Selbstzensur

Im Ballhaus Naunynstraße thematisiert „Don’t Move“ Tanz im Iran

Berlin, 20/03/2011

In der frühen christlichen Kirche durfte getanzt werden: Unter Anleitung des Bischofs galt der Reigen, wie ihn die Engel im Himmel zeigten, als gottgefällig. Selbst der heilige Augustinus bedauerte, wegen Krankheit nicht am Tanz teilnehmen zu können. Wenig später überzog das Christentum den Tanz auf Jahrhunderte mit einer wüsten Verbotskampagne, erfand gar einen Tanzteufel, weil sich die Geschlechter im Tanz zu nahe kamen. Zeitversetzt und mit den Besonderheiten des Islam gilt seit drei Dezennien ein ähnliches Tanzverbot auch in der Islamischen Republik Iran. Nur „Rhythmische Bewegung“ darf auf den Bühnen stattfinden, was das bedeutet, entscheiden Zensoren, denen jedes Theaterprojekt vor der Premiere vorzuführen ist. So soll Propagierung eines den islamischen Werten zuwiderlaufenden Frauenbildes in Gestalt westlicher Freizügigkeit vermieden werden. Frauen dürfen nicht tanzen, allenfalls in der Folklore, Beckenbewegungen sind auch dort abzumildern. Wie stets in Diktaturen gibt es zwar Tanz, nicht im öffentlichen, wohl aber im privaten Bereich.

Unter welch schwierigen Bedingungen das vonstatten geht und was dann vom Tanz noch übrigbleibt, hat die in Berlin zur Choreografin ausgebildete Iranerin Modjgan Hashemian am Ballhaus Naunynstraße untersucht. „Don’t Move“ suggeriert „keinen Tanz“, zumindest Tanz als ein Dennoch, und steht so exemplarisch für die Situation in ihrer Heimat. Vorausgegangen sind der 75-minütigen Produktion Aufenthalte in Teheran, Kontakte mit vier jener Dennoch-Tänzer, Aufnahmen in leer geräumten Wohnzimmern und auf schotterbelegten Hausdächern. Stellvertretend für die nicht anwesenden iranischen Tänzer ist ihr Videotanz dem Stück einverwoben. Die Australier Martin Hansen und Derrick Amanatidis, die Schwedin Maryam Nikandish, die Kasachin Zhanna Serikbayeva „partnern“ sie als Mannschaft live auf der Szene. Die Umstände im Iran skizzieren zwei transparente Stellwände: Vor, zwischen, hinter ihnen wird getanzt wie vor, hinter Gardinen; sie sind Projektionsflächen für die Videos und zugleich „Vorhänge“, mit denen fortgewischt wird, was im Dienst der Islamischen Revolution nicht sein darf. Alles hat den Hauch des Flüchtigen, einer ständigen Angst Abgerungenen. Wie durch ein Fenster blickt man per Video in kahle Räume, in denen Kopftuchträgerinnen sparsam tanzen, dabei Tapete von der Wand kratzen, als lauere dahinter jene Freiheit, auf die sie warten.

Auf der Szene begegnen sich Frauen und Männer zum frohen Spiel mit den Füßen, später mit rhythmischem Klatschen auf den Boden. Berührungslos bleibt ihr Tanz; springt eine Frau den Partner an, wird sie rabiat fallengelassen: Kontakt unerlaubt. Musik insbesondere von Behruz Tavakol auf dem persischen Hackbrett schafft vielfältig authentische Atmosphäre. Wie unsinnig die Einmischung der Sittenwächter ist, zeigen Versuche, ihren Anweisungen tanzend Folge zu leisten: Verknotete Leiber sind das Resultat. Im Video entwickelte Themen der Iraner werden live fortgeführt, das Miteinander von Bild und Realität führt zu reizvollem Dialog. Eine Iranerin tanzt in weißem Rahmen wie in einem Käfig, springt dann ins Nichts; auf der Szene rollen zwei Tänzerinnen den Bodenbelag auf, legen schwarzglänzend eine Bahn wie einen Fluss frei. Deutlich wird ein Tänzer ohne Namen und Bild: Du verbirgst der Stadt, wer du bist, wirst zerrieben von den Blicken, verschließt den Mund, der Raum im Körper wird enger, am Ende ist Bewegung Ausbruch eines toten Körpers. Jeder des Live-Quartetts tanzt im Finale separat, aber dennoch; dass die Darstellerin der Zensorin über Skype dem Premierenjubel zugeschaltet ist, berührt tief.

Wieder 21./22., 24.-26., 28.-30.3., Ballhaus Naunynstraße, Naunynstr. 27, Berlin
www.ballhausnaunynstrasse.de

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