Von Béjarts „Sacre“ zu Alonzo Kings „Figures of Thought“

Das Béjart Ballet mit einer Uraufführung und zwei Wiederaufnahmen

Lausanne, 14/06/2011

Seit dem Tod von Maurice Béjart im November 2007 leitet Gil Roman das Béjart Ballet Lausanne (BBL). Die Truppe ist wochenlang weltweit auf Tournee. Mindestens zweimal pro Jahr tritt sie aber für eine Aufführungsserie in Lausanne auf: In der Stadt am Genfersee, die das Ensemble weiterhin großzügig subventioniert und ihm am Chemin du Presbytère nahe dem Palais de Beaulieu die nötigen Räumlichkeiten verschaffte. Die Auftritte in Lausanne sind jeweils wunderbare Heimspiele, gut besucht und oft frenetisch applaudiert. So auch am letzten Samstag im Beaulieu-Theater, wobei der Hauptapplaus nicht so sehr der Uraufführung von Alonzo Kings „Figures of Thought“ galt, sondern Maurice Béjarts legendärem „Le Sacre du Printemps“ zu Igor Strawinskys ebenso legendärer Ballettmusik.

Nicht zu fassen, dass Béjarts Choreografie schon 1959 entstanden ist! Kaum eine der unzähligen „Sacre“-Varianten, die nach der Uraufführung durch die Ballets Russes (1913) bis heute kreiert wurden, wirkt auf der Bühne so kraftvoll, einleuchtend, sinnlich. Da stoßen Himmel und Erde, Männer und Frauen orgiastisch aufeinander. Im Gegensatz zum ursprünglichen Libretto muss sich bei Béjart das Frühlingsopfer, ein junges Mädchen, nicht zu Tode tanzen, sondern sie vereint sich mit einem männlichen Auserkorenen und löst ein kollektives Liebesfest aus. Bei der Premiere in Lausanne tanzten der schmale, jungenhafte Oscar Chacon und die scheue Katerina Shalkina die Auserwählten: ein hinreißendes Paar. Beide waren noch von Béjart engagiert worden Daneben lernt man viele Neue kennen. Um 50 Tanzende auf die Bühne zu bringen, braucht es zusätzlich zum 34-köpfigen Stamm-Ensemble auch Schülerinnen und Schüler der Ausbildungsstätte „Ecole Rudra Béjart“ in Lausanne, unter der Direktion von Michel Gascard. Für Schule und Bühne eine Win-win-Situation.

Doch nun zu „Figures of Thought“, die Uraufführung bei der Lausanner Premiere. Der Choreograf Alonzo King, ein Afroamerikaner, hat neben US- und Asien- auch breite Europa-Erfahrung. Mit dem BBL arbeitete er aber noch nie zusammen. Umso überraschender, dass das Eröffnungsbild seines Stücks wie der Auftakt zu einem Béjart-Ballett anmutet: Fünf Männer in militärgrünen Leggins, mit nacktem Oberkörper, zeichnen athletische Muster auf die Bühne. Sie tanzen zunächst allein, dann zunehmend aufeinander bezogen. Mit Sturzfiguren, Drehungen, kleinen Sprüngen und Kräftemessen in Duos und Gruppen. Dann taucht in der nächsten Szene die erste Frau auf, im hübschen knappen Kostüm und auf Spitzenschuhen. Ein Kontrast zum frei gestalteten ersten Männerauftritt, wie ihn Béjart oft verwendete (wenn auch nicht im „Sacre“). Während vierzig Minuten tanzen acht Männer und fünf Frauen in vielfältigen Kombinationen, kitschfrei, manchmal etwas gar gemächlich. Man schaut gerne zu, entdeckt originelle Details. Trotzdem fehlt dem Stück etwas – ein genialer Kick, ein dämonischer Zug à la Béjart. Als Musik für „Figures of Thought“ hat King eine zeitgenössische Klangcollage gewählt, die zwischen Wohl- und Missklang changiert (Miguel Frasconi, Edgar Meyer, Zakir Hussain). Mal jazzig, mal exotisch, durchsetzt mit Naturgeräuschen oder Kinderstimmen. Ein sehr farbiger Klangteppich, mit dem der Tanz nicht zwingend korrespondiert.

Zwischen Alt und Neu im Lausanner Programm tanzt Elisabet Ros, eine Diva aus Béjarts Zeiten, das Solo „Etude pour une Dame aux Camélias“. Nicht zu Verdi, sondern zu Chopin und jüngerer Opernmusik. In dem 2001 uraufgeführten, zehn Minuten dauernden Ballett kann Ros ihre vielseitigen Qualitäten ausspielen: Elegante klassische Linie, diesmal verbunden mit pathetisch-tragischem Einschlag.

In Lausanne bis 17.Juni 2011
www.bejart.ch

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