Traumhaft geht anders

Wiederaufnahme von John Neumeiers „Ein Sommernachtstraum“ beim Hamburg Ballett

Hamburg, 26/02/2011

Erinnerungen können ein Fluch sein, vor allem, wenn es schöne Erinnerungen sind. An Marianne Kruuse als Helena und den unvergessenen Max Midinet als Zettel. An Kevin Haigen als Puck, Zhandra Rodriguez als Hippolyta/Titania, François Klaus als Theseus/Oberon. An die ganze Besetzung der Uraufführung von John Neumeiers „Sommernachtstraum“ im Juli 1977. Den Jubelsturm, den das Werk bei seiner Uraufführung in der Hamburgischen Staatsoper entfachte – Beweis dafür, dass Neumeier die Zuneigung der manchmal so spröden Hamburger endgültig gewonnen hatte. 34 Jahre später hat die Choreographie nichts von ihrem Charme und ihrer Magie eingebüßt. Neumeiers Shakespeare-Adaptation ist ein Meisterwerk der Komposition von Tanz und Musik, kongenial ergänzt durch das phänomenale Bühnenbild von Jürgen Rose. Neumeier kontrastiert das Leben bei Hofe sowohl choreografisch wie musikalisch mit dem Treiben der Geister im nächtlichen Wald und der deftigen Komik der Handwerker. Dem Adel stellt er die Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy zur Seite, dem geisterhaften Treiben die Sphärenklänge und das Tönen der Orgelklangbilder von György Ligeti, den Handwerkern die traditionelle Drehorgelmusik – so wird daraus ein Gesamtkunstwerk in drei Stilrichtungen.

Jürgen Rose gibt dem höfischen Leben die gebotene Pracht, die aber nie übertrieben opulent wirkt, vor allem im 2. Akt, wenn er bei der Hochzeit der drei Paare alle Aufmerksamkeit auf die Menschen lenkt – Prospekte und Hintergrundvorhang bleiben zurückgenommen einfarbig in tiefdunkelblau. Sein Märchenwald dagegen ist eine Ode in silbrigem Glitzern vor nachtschwarzem Sternenhimmel, geisterhaft-schwebend, mit flirrenden Baumgestalten in nebel-blauem Licht, die Elfen und Feen in hautengen Glitzertrickots mit silbrigen Kappen, androgyne Wesen mit streng geometrisch abgezirkelt Bewegungen, ein einziges Geheimnis, zu dem die Handwerkertruppe mit ihrer Bodenständigkeit einen großartigen Gegensatz darstellt.

So viel Volumen auf der Bühne erfordert von den Tänzern ein Höchstmaß an Präsenz und nicht minder an technischer Virtuosität, denn die Choreografie ist gespickt mit raffinierten Details, voller Schwierigkeiten und Überraschungen. Blitzschnelle Beinarbeit wechselt sich ab mit schwierigsten Hebungen, lang gezogenen Balancen – man muss gut hinschauen, um die Fülle von Einfällen zu erfassen, die Neumeier hier verarbeitet hat. Aber es ist nicht nur technische Finesse, die dieses Stück seinen Tänzern abverlangt – es ist vor allem die innere Qualität, die diesem „Sommernachtstraum“ eine Magie verleiht, die so vielen frühen Neumeier-Stücken innewohnt, und die heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat – kein anderes Stück aus dem Repertoire wurde so oft an andere Ensembles verkauft wie dieses, und auch in Hamburg gehört es zu den Stücken, die am häufigsten auf dem Spielplan standen (die Wiederaufnahme-Premiere war die 263. Vorstellung seit der Uraufführung). Gerade so einem Stück jedoch ist höchst sensibel für die Tagesform seiner Protagonisten. Neumeiers mit tausend Finessen gespickte Bewegungssprache, der Charme seiner Charakterstudien kann sich nur dann wirklich entwickeln und zeigen, wenn die Protagonisten über die nötige innere Kraft verfügen, die Rolle mit eigenem Sein zu erfüllen. Strahlkraft und innere Überzeugungsqualität sind die Voraussetzungen, damit dieser „Sommernachtstraum“ wirklich so traumhaft wirkt, wie er angelegt ist.

Das gelang bei der Wiederaufnahme nach fünf Jahren Pause am vergangenen Freitagabend nur stellenweise. Es war, als hätte sich das gesamte Ensemble noch nicht so richtig in das Stück hineingefunden – obwohl die meisten damit durchaus schon einmal vertraut gewesen sein dürften. Ivan Urban stattet seinen Theseus/Oberon zwar mit der nötigen Souveränität und Autorität aus, die dieser benötigt, um sowohl das Aristokratische des Fürsten von Athen als auch das Dämonische und Gebieterische des Elfenkönigs zu entfalten – und doch fehlt da ein klitzekleines Quentchen an Strahlkraft. Carolina Aguero ist eine hinreißend naive Helena und wirft sich mit Verve in die gewagten Sprünge und Hebungen – aber auch das ist noch steigerungsfähig, wenn man einmal gesehen hat, wie federleicht und mädchenhaft-schüchtern, aber doch auch keck und gewitzt eine Marianne Kruuse diese Rolle zu erfüllen wusste. Alexandre Riabko gibt seinem Puck nach anfänglichem Zögern noch rechtzeitig die Sporen, damit dieser das nötige Ungestüm und die Komik an den Tag legen kann, die dieser Rolle erst ihren Witz verleiht – und kann doch dem Puck von 1977, Kevin Haigen, nicht ganz das Wasser reichen. Der brauchte damals nur seine Nase auf die Bühne zu strecken, und schon wusste das ganze Haus: hier bahnt sich gerade Chaos an, höchst amüsantes Chaos... Otto Bubenicek ist ein passabler Demetrius, und Carsten Jung eine ebensolcher Lysander, Catherine Dumont eine freundlich-verliebte Hermia. Aber das bleibt alles verhalten, das haben wir schon expressiver, spielfreudiger, überschäumender und vor allem authentischer gesehen.

Und dann Hippolyta/Titania. Was für eine Herausforderung für eine Tänzerin, diese Doppelrolle zu gestalten: Hippolyta, die am Vorabend ihrer Hochzeit dem großen Ereignis entgegenfiebert, ein bisschen bang, aber auch voll freudiger Erwartung, dem Fürsten von Athen eine würdige Gemahlin und Geliebte zu sein. Unsicher ist sie, ob er sie wirklich liebt, und so will sie sein Herz berühren, wie er das ihre durch seine Gestalt und seinen Rang schon gewonnen hat. Aber fern ist er ihr, so fern... In diese Frauenfigur gilt es alle romantischen Träume hineinzulegen, alle Sehnsucht und Hingabe an das Rollenbild einer Gemahlin, wie es der Adel damals erforderte. Das Kontrastprogramm dazu ist Titania, die Feenkönigin: stolz, dominant, selbstständig, streitbar. Eine Herrscherin, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt, schon gar nicht von Oberon, ihrem Widersacher im Wald der Geister. Und die dann doch, dank Pucks Wunderblume, plötzlich in dem eselohrigen Zettel einen begehrenswerten Mann entdeckt. Diese Widersprüchlichkeit und verschiedenen Facetten gilt es nach Strich und Faden auszukosten, das muss schillern und funkeln auf der Bühne, um dann doch wieder zu zerschmelzen vor weiblicher Hingabefähigkeit. Diese Rolle wird in ihrem Schwierigkeitsgrad gerne unterschätzt – es ist nicht einfach, das alles in einer Person zu vereinen, bei den manchmal atemberaubend schnellen Kostümwechseln hinter der Bühne, und ebenso blitzschnellen Wechseln in Bewegungssprache und Ausdruck. Aber das ist ja gerade der Reiz – und eine gute Gelegenheit für jede große Tänzerin, ihre Vielseitigkeit zu zeigen. Hélène Bouchet bleibt hier leider einiges schuldig – sie hat einen langgliedrigen, bildschönen Körper, dessen lange Beine gerade in der silbrigen Verschalung bei Titania besonders gut zur Geltung kommen. Und sie weiß das auch, sie setzt diese Beine sehr bewusst ein. Sie ist stilsicher und technisch akkurat. Aber das reicht eben nicht bei dieser Rolle. Bühnenbeherrschend werden Hippolyta und Titania nur durch innere Größe, das kann man nicht einfach nur schön tanzen, das muss man ganz tief fühlen und im Tanz leben. Denn Neumeier verzichtet im 2. Akt bewusst auf einen großen Hochzeits-Pas de Deux für Hippolyta und Theseus, die beiden müssen allein über ihre Persönlichkeit wirken, und da wird es dann doch schwierig bei dieser Wiederaufnahme. Da ist die Bühne nicht wirklich gefüllt. Das war auch an der Resonanz des ansonsten höchst begeisterungsfähigen Premieren-Publikums spürbar: der Beifall war artig, aber auch nicht mehr. Sommernachtsverträumte Glanzlichter gehen anders.

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