Spannender Abend der Gegensätze im Festspielhaus

Tanzstudenten der Palucca Hochschule und „Linie 8“ kommen gut an in Hellerau

Dresden, 19/04/2011

So, das war‘s. Im 85. Jahr ihres Bestehens präsentieren zum letzten Mal Absolventen des Studienganges Tanz an der Dresdner Palucca Hochschule ihre Diplomarbeiten in Form von eigenen Choreografien. Fortan gibt es Master- und Bachelor-Studiengänge. Präsentationen gehören weiterhin dazu, im Juli schon geht es weiter. Acht Studentinnen und Studenten zeigen jetzt so mutig wie individuell, wie weit sie gekommen sind. Da überzeugt zunächst bei allen Mitwirkende die tänzerische Präsenz, die Selbstverständlichkeit individuelle Ausstrahlung und Wirkung nicht hinter technischer Perfektion zurück treten zu lassen. Bestenfalls, und das ist gar nicht so selten, überzeugt, wie beides ineinander übergeht. Dazu ist allen Studierenden an diesem Abend - den Choreografen ganz besonders - ein klares Bekenntnis zum Tanz in der Vielfalt seiner Varianten eigen. Dass die Beherrschung der Grundlagen klassischer Traditionen dem verständlichen Anliegen eines zeitgemäßen Ausdrucks nicht entgegenstehen muss, ist eine von vielen erfreulichen Erkenntnissen dieses Abends. In allen acht Choreografien ist es nämlich grundsätzlich gelungen, eigenständige Ideen tänzerisch zu verarbeiten. Sie können sich abarbeiten an der Beobachtung des Alltags, können zur sensiblen Selbstbefragung werden. Sie können Varianten der Sinnsuche sein oder Bilder, in denen persönliche, biografische und kulturelle Erfahrungen die Grundierung abgeben. Eigentlich sind alle auf der Glückssuche, und damit auf der Suche nach sich selbst, nach ihren individuellen Möglichkeiten der Mitteilung.

Dabei können die Signale direkter sein, wie bei Robin Jung, der „What would you say… lack or luck of public transport?“ fragt und dazu die Einkaufswagen von Supermärkten einbezieht. Gegensätze, „Schwarz Weiß“ in der Bewegung, in der Musik, im Mit- und Gegeneinander der drei Tänzer spielen bei Raphael Trosse eine Rolle. Das unbekümmerte Verhältnis von vier Männer in ausgelassener Stimmung verändert der Auftritt einer Tänzerin auf Spitze total, denn einen nur erwählt und entführt sie in Mark Wandslebs „>IN5(TINCT)<“. „| Selbst | x 3“ heißt die Arbeit von Camilla Schmidt, die sich zu drei ausgewählten Varianten ihrer Persönlichkeit in Beziehung setzt. Ja die Titel, sie müssen englisch sein oder rätselhaft in der Schreibweise oder von kleiner Ironie wie „Inmitten mittig“ von Etienne Aweh, der einen jungen Mann in einen immer kleiner werdenden Kreis stellt und ihn auf eine verbale Reise schickt, auf der es zu erkunden gilt, was es heißen könnte „Ich“ zu sagen. Dass ein feinsinniges Repertoire von minimalen Zeichen der Körpersprache mehr verrät als alle verbalen Drehungen, kommt dem Geheimnis des Tanzes sehr nahe. „Soul after Soul“ nennt Zongwei Xu ihre Versuche fernöstlichen Körperzauber einzubringen und zu erkunden wie kleidsam, praktisch und spielerisch der Umgang mit Fächern sein kann. Zwei Männer, eine Frau und ein flüchtiger Blick auf die Realität ist der Ausgang für Seraphina Detschers verzichtsphilosophische Arbeit „A glimpse of realisation“ in der sich eine Frau zwischen zwei Männern entscheiden muss. Zum Abschluss, durchzogen von stimmigen Showelementen zu rockigem Sound und einigen selbstgezupften Tönen auf der E-Gitarre präsentiert Christof Paul mit „Valventil“ dem begeisterten Publikum im vollbesetzten großen Saal des Festspielhauses noch einen Einblick in die Vielfalt der Möglichkeiten, mit denen die jungen Tänzerinnen und Tänzer sich bald bewähren können.

Bewährt hat sich nach kurzer Zeit schon das Angebot zu späterer Stunde Dresdner Tänzerinnen und Tänzern ein Podium für das Experiment zu geben. „Linie 8“ heißt die Serie und die Fahrt mit derselben nach Hellerau lohnt. Opulent ist das Angebot mit vier Arbeiten an diesem Abend allemal. Zunächst eine Klang- und Licht- und Videoinstallation mit geschichtlichen Reminiszenzen und leuchtenden Liebkosungen für die Architektur des Festspielhauses der carrot dancers von Maik Blaum. Die vervielfachte Tänzerin Nicole Meier erobert in steilen, gefährlichen filmischen Aktionen die Fassade. Im Nancy-Spero-Saal gibt es Arbeiten von Annette Lopez Leal und José Biondi sowie von Irene Schröder und Héctor Solari. Zunächst die Bewegung und der Klang, das tief gestrichene und hoch gezupfte Violoncello. In den wie im Fluge vergehenden 23 Minuten der Choreografie „Mobile“ von Lopez Leal und Biondi bewegen sich sechs Körper im Raum. Vier menschliche, zwei Klangkörper. Mitunter ist die erotisch konnotierte Nähe so stark, dass Menschen und Instrumente zu einer utopischen Einheit aus purer Zärtlichkeit verschmelzen. Die beiden Cellisten Alexander Oberascher und Florian Giesa entlocken ihren Instrumenten Töne in allen Lagen, lassen die wunderbaren weich und schmiegsamen tanzenden Körper von Tamara Kronheim und Pawel Dudus erzittern und beben, bis tiefer Klang alles erlösend umhüllt. Zum Abschluss „Fresco“ von Irene Schröder und Héctor Solari. In Projektionen und Videos korrespondieren zunächst die Fragmente der Bilder von Nancy Spiro mit Kamerablicken auf antike Figuren der Dresdner Skulpturensammlung, ergänzt durch den Tanz von Irene Schröder und Ursula Nill. Zunächst minimalistisch, eine Frau formt die andere, Modellieren am lebende Körper, ein schöner Schöpfungsakt, formen, führen, heben, tragen und halten. Die intensive Nähe der Tänzerinnen führt zu siamesischen Varianten, Steigerung bis in absurde bewegte Bilder intensiver Körperbindung, aufgelöst in kraftvoll dynamischer Raumeroberung von ansteckender Fröhlichkeit. So, das ist es. Und das ist nicht gerade wenig, gut ist das ohnehin.

www.hellerau.org
www.palucca.eu

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