Pflichtaufgabe statt Herzenssache

Kevin O’Days Version von „Romeo und Julia“

Mannheim, 06/03/2011

Das Erzählen ist einfach nicht sein Ding. Der Mannheimer Ballettchef Kevin O’Day überzeugt immer dann, wenn er der abstrakten Bewegung huldigt oder wenn er seine Choreografien von der Stimmung eines Landstrichs, einer historischen Zeit oder eines Musikstils inspirieren lässt, am liebsten von den modernen elektronischen Rhythmen seines Lieblingskomponisten John King statt von ehrwürdiger Klassik. Das zweite Handlungsballett des Mannheimer Ballettdirektors ist nun alles, nur keine Neudeutung der berühmten Shakespeare-Liebesgeschichte. Bei allem ehrenwerten Verzicht auf eine pompöse Ausstattung sieht es genau wie sein Stuttgarter „Hamlet“ vor allem schick und glänzend aus, hangelt sich in einer lässigen Casual-Wear-Moderne fleißig an Prokofjews Musik entlang, so rast- wie belanglos und von zweifelhafter Musikalität. Der Abend wirkt wie eine Pflichtaufgabe, nicht wie die Herzenssache des Choreografen.

Dabei hat er großzügige Rahmenbedingungen. Alois Sedlmeier dirigiert das Orchester des Nationaltheaters, Prokofjews Partitur erklingt prachtvoll, mit dramatischer Dynamik und in praktisch vollständiger Länge aus dem Orchestergraben. Jean-Marc Puissants lässige Kostüme charakterisieren zwar die Personen, wirken manchmal aber ein wenig beliebig. Dafür deuten die wenigen, rechteckig-abstrakten Bühnenelemente mit ihren warmen Braun- und Goldtönen zurückhaltend und edel die verschiedensten Schauplätze an, lassen sich rasch verwandeln und zählen zu den positiven Aspekten des viel zu langen Abends.

Genau wie manch schöne Momente von O’Days Inszenierung – so weitet sich die Bühne im Balkon-Pas-de-deux vor einem dämmrigen Rundhorizont plötzlich und die jungen Liebenden laufen unbeschwert und frei wie Kinder im Garten herum. Ausgerechnet bei der Charakterisierung von Julias Amme gelingen O’Day immer wieder liebevolle kleine Gesten, wenn Benvolio und Mercutio die adrett-exzentrische Dame (entzückend gespielt von Mami Hata) etwa auf den Kopf stellen, um den Brief an Romeo aus ihr herauszuschütteln. Ansonsten bedient der Choreograf alle ein bisschen, hübscht die bekannte Love Story mit Gesellschaftsskandälchen und Hinguckern auf, indem er zum Beispiel die todschicke Lady Capulet (Zoulfia Choniiazowa), topmodisch bis zur eingerollten Frisur, als kühlen Vamp auftreten lässt und ihr eine Affäre mit Tybalt anhängt, oder indem er mit der Derwisch-artig wirbelnden Priesterin in ihren erdfarbenen Gewändern eine feministische Note hineinbringt. Auch die Amme und ihr Vater haben ein Verhältnis, womit uns der Choreograf ausgerechnet an der hochspannenden Stelle zwischen Julias vorgetäuschtem Giftselbstmord und ihrer Beerdigung überrascht, was den dritten Akt noch weiter hinauszögert und den Abend auf weit über drei Stunden ausdehnt.

Dramaturgisch weist O’Days Version überall Fragezeichen und offene Stränge auf, die bestimmt nicht immer der geringen Größe des Mannheimer Tänzerensembles geschuldet sind. Was zum Beispiel hat die Priesterin auf dem Ball zu suchen? Warum zieht die Lady mit ihrem Gatten, Graf Paris und ihrem Lover um die Häuser? Warum geriert sich die bis dahin so beherrschte Dame plötzlich pathetisch wie eine Stummfilmdiva, wenn sie um Tybalt trauert? Wer sind die ominösen Mönche, die um das Grab der Capulets schleichen? Die zahlreichen Kämpfe werden ohne Waffen ausgefochten, mit den bloßen Händen und manchmal, wie beim tödlichen Zwist zwischen Romeo und Tybalt, mit stürmischer Kampfchoreografie und heftigem Körpereinsatz; für den tödlichen Stoß brechen die Protagonisten dann Metallstangen aus dem Bühnenbild heraus. Romeo scheint trotz seiner beiden Freunde von Anfang ein Einzelgänger zu sein, bleibt aber insgesamt merkwürdig blass und gewinnt seine Persönlichkeit fast nur aus dem staunenswert leichten, federnden und doch eleganten Tanz seines Interpreten Brian McNeal (dem man dennoch eine größere Herausforderung wünscht). Besser ergeht es Nadège Cotta als Julia, die sich als frisches, durch ihre stürmische Offenheit faszinierendes Mädchen profilieren kann.

Kevin O’Day choreografiert in weiten, ausholenden Bewegungen, in einem lässig-modernen, eher verwaschenen als neoklassischen Stil, ohne prägende Höhepunkte und ohne große Dynamik der Bewegungen. Wohl gibt es so etwas wie strukturierende oder verbindende Bewegungsmotive, so öffnet Julia immer wieder ihre gestreckten Beine wie zur Schere, wenn Romeo sie hält, aber ein dramaturgisches Moment bekommen diese Leitmotive nicht. Ein Abend, der trotz seines großen, unsterblichen Themas eher ermattet als zu bewegen.

www.nationaltheater-mannheim.de

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