Großer Bahnhof für Bernd Schindowski

Eine Stadt verabschiedet ihren Ballettchef

oe
Gelsenkirchen, 08/07/2011

So aufwendig ist wohl vor ihm noch kein amtierender Ballettchef verabschiedet worden! Immerhin kann Bernd Schindowski auf dreiunddreißig Jahre erfolgreicher Arbeit in Gelsenkirchen zurückblicken. Und auch wenn es bei seinem Namen noch nicht zu einem Slogan à la „Gelsenkircher Barock“ gereicht hat: Ehrenmitglied des Musiktheaters im Revier ist ja doch auch schon ganz schön. Und wo außer Hamburg gibt es sonst noch eine Ballettkompanie bei uns, die den Namen ihres Gründers in ihrem Firmenschild führt? Viel Ehre denn also an diesem Galaabend im Musiktheater am Kennedy-Platz – noch immer zusammen mit dem Aalto-Theater in Essen einer der schönsten Theater-Neubauten der Nachkriegszeit. Und so waren sie denn alle gekommen – oder doch fast alle –, um ihren Dank und ihre Bewunderung für den scheidenden Ballettchef auszusprechen: der Architekt, der Generalintendant, der Oberbürgermeister, die Frau Ministerin, und aus Berlin war eigens herbeigeeilt, unser Ballett-Lobbyist Nummer eins, Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages (und aus der fernen Karibik hatte die designierte Schindowski-Nachfolgerin Bridget Breiner einen Gruß geschickt).

Und alle priesen sie ihn für die enorme Arbeitsleistung – und ganz besonders für seine diversen Jugend-Projekte, die er gestartet hatte, lange bevor man von Royston Maldoom und Simon Rattle samt ihrem „Rhythm Is It!“ und einem gewissen Billy Elliot gehört hatte. Doch keiner pries ihn kenntnisreicher als der Laudator Heinz-Albert Heindrichs, der sogar die alten Griechen als Kronzeugen bemühte und Schindowski in einen historischen Rahmen stellte, dass wir seine profunde Rede gern noch einmal nachlesen würden. Das hätte wohl selbst der alte Noverre gerne über sich gehört! Und das Publikum war vollständig und ausverkauft da und die Junioren von den Schulen und ihre Band, samt Rapper und natürlich die vierzehn Tänzer des Balletts Schindowski, die in sehr durchlässigen Netztrikots ihrem Chef zu Ehren Beethoven tanzten – einen ganz späten sogar, das Streichquartett Nr. 15 in a-moll op. 132, aus dem Beethoven später seine Große Fuge ausgeklammert hat, die Hans van Manen dann als einen Klassiker der Ballettmoderne choreografiert hat.

Enorm hoch der Anspruch also in dieser – einstweilen? – letzten Kreation Schindowskis für seine Kompanie. Eine Choreografie der klassischen Moderne, rasant, mit vielen Sprüngen, weit ausholenden Schwüngen und waghalsigen Wurf- und Fangakten, von Feuer durchglüht und kein bisschen altersmüde – und so alters- ... nicht -weise, sondern -enigmatisch wie der alte Beethoven, obgleich der sicher noch nicht in so surrealistischen Visionen gedacht hat wie Schindowski, der im Hintergrund die Versatzstücke des Theaterfundus wie in einem Albtraum Revue passieren ließ. And what's next, Mr. Schindowski? Der gönnt sich jetzt zunächst einmal eine wohlverdiente Auszeit in seinem vielgeliebten Italien, scheint aber mit seinen derzeit vierundsechzig Jahren noch längst nicht am Ende seiner Kreativität angelangt. Und so würde es mich nicht wundern, ihn demnächst als Gastchoreografen beim italienischen Aterballetto auftauchen zu sehen!

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