„Garden of Other“ von Dominique Dumais umkreist die großen und kleinen Dinge der Welt

Das Leben als utopischer Reigen

Mannheim, 18/05/2011

„Der Garten ist die kleinste Parzelle der Welt und zugleich die Totalität der Welt.“ So dachte der französische Philosoph Michel Foucault im vergangenen Jahrhundert. Der Garten als Ort, der eigentlich utopisch sei, aber dennoch wirklich ist, weil er als realer Platz in der Gesellschaft erfahren werden kann. Auch im Programmheft von „Garden of Other“, dem neuen Tanzstück von Dominique Dumais am Mannheimer Nationaltheater, wird Foucault genannt. „Heterotopien“ nennt der Philosoph jene Orte wie den Garten als Gegensatz zur Utopie. Und doch tragen sie utopische Züge durch ihre mythischen Anklänge.

Tatyana van Walsum, die Bühnen- und Kostümbildnerin am Nationaltheater Mannheim hat für den Garten ein schlichtes, ja vielleicht sogar ein Urbild gefunden. Wie Schilf wachsen ihre Röhren aus dem Bühnenhintergrund. Sie sind Metapher für Wachstum und Natur, aber auch für Ordnung und Struktur. Eine Lücke zwischen den Stäben ist Pforte und erlaubt den Eintritt in den Garten. Aber die Tänzer des Kevin O’Day Balletts betreten den Bühnengarten auch von den Seiten. Am Beginn von „Garden of Other“ sieht man eine Tänzerin einsam und wie eine Suchende in den Bewegungen. Eine Flöte erklingt und lässt eine unwirkliche Ferne entstehen, die der Szene jene fast utopische Anmutung verleiht. Die Flöte wird von Anna-Maria Hefele gespielt, sie sitzt mit zwei weiteren Musikern auf der Bühne wie auf einer Insel. Zu den feinen Tönen setzt sich kunstvoll ein Licht in Beziehung, das die Bühne samt Tänzerin in ein vages Verhältnis aus verborgenen und sichtbaren Zonen setzt. Bonnie Beecher hat für die Bewegungsgeschichten von Dominique Dumais und den Schilfrohrgewächsen von Tatyana van Walsum eine wirkungsvolle Beleuchtung gefunden. Wenn etwa alles in tiefes Rot getaucht ist, erscheint der Wald aus Röhren wie ein unergründliches Geschöpf. Davor ziehen sich die Tänzer in ihren verstrickten Bewegungen mal an oder schrecken voreinander zurück. Und die Musik ist in diesem Moment ein euphorisches Trommelwerk.

„Garden of Other“ handelt vom Leben, den kleinen und großen Geschichten, den flüchtigen Begegnungen und den tragischen Verhältnissen. Dabei behält das Stück bis zum Schluss eine Leichtigkeit, die es auch der Musik verdankt. Drei Musiker bringt Dumais auf die Bühne: Emiliano Trujillo spielt Sitar, Sarod und Dilruba und lässt mit seiner Musik auch die orientalischen Gärten vor dem inneren Auge entstehen; Anna-Maria Hefele singt in Obertönen und verleiht damit dem Bühnengeschehen noch mehr Transparenz; und Peter Hinz schlägt die Trommel, um letztlich alles wieder zu erden und auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Eben nicht nur Utopie, sondern reale Begegnungsstätte ist der Garten. Dennoch ist er auch ein künstliches Produkt und wie das Theater ein Ort künstlerischer Produktivität. Es ist daher kein Zufall, dass Foucault auch das Theater als Beispiel für seine „Heterotopien“ nennt, wenn „auf dem Viereck der Bühne eine ganze Reihe von einander fremden Orten aufeinander folgen.“ Choreografin Dumais führt diese Reihe von einander fremden Orten in den tänzerischen Sequenzen vor. Es sind oft Paare, die aneinander geraten oder miteinander kommunizieren. Einfallsreich auch die Szene, wo der Tänzer aus Norwegen seiner Partnerin aus Venezuela von den Essgewohnheiten seiner Heimat berichtet. Oder Dumais lässt im Bild von der Einzelgängerin mal dramatische, mal traumverlorene oder sogar tierische Züge vertanzen. Im schnellen aufgeregten Atmen etwa einer Tänzerin, das sich plötzlich in der öffnenden Bewegung entlädt, im wiederholten Streichen mit der Hand über die Fußsohle oder im Gurren und papageihaften Schreien einer Protagonistin fängt Dumais die Eigenheiten ihrer Gartenbesucher ein. Das Leben kann eben wie ein Tanz, ein utopischer Reigen erscheinen.

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