Es geht gut los und hoffentlich noch besser weiter…

Auftakt zum ersten internationalen Tanzfestival

Weimar, 23/05/2011

Ein deutliches Zeichen, klare Worte zu Beginn: Stefan Märki, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters, eröffnet das neu ins Leben gerufene Festival. Er sieht darin eine Möglichkeit, den Tanz als eine wesentliche Größe der darstellenden Kunst an dieses Theater zurück zu bringen. „Tanz hat wieder eine neue Heimat“, so Märki. Für vier Jahre ist die Finanzierung gesichert. Einzelne Gastspiele wie bisher im Laufe der Spielzeit wird es nicht mehr geben, die bleiben in größerem Rahmen dem Kunstfest vorbehalten. Der Einstiegsetat mit 70.000 € ist knapp für ein internationales Festival. Aber das Programm der ersten Auflage zeigt, was dennoch alles möglich ist, wenn man gut wirtschaftet, gut auswählt und örtliche Ressourcen einbezieht. Was es da samt Rahmenprogramm bis zum 29. Mai an verschiedenen Orten in Weimar zu sehen und zu erleben gibt, das kann sich sehen lassen. Dafür steht sicher auch die Kuratorin des Festivals, Estefania Mirinda. Die aus Chile stammende, weltgewandte Tänzerin hat unter Ismael Ivo in Weimars letzter fester Kompanie getanzt. Sie hat als Schauspielerin und Regisseurin Erfolge aufzuweisen, sie kennt die internationale Szene und hat Erfahrungen im künstlerischen Management.

Für die Eröffnung im Großen Haus des Nationaltheaters hat sie die deutsch-kanadische Produktion „Dark Matters“ (Die dunkle Materie) von Crystal Pite mit Kidd Pivot Frankfurt RM gewählt. Sie wolle dem Publikum „Assoziationsinseln“ zu geben, Bilder die berühren, eine handwerklich perfekte und zugleich zugängliche Choreografie, so die Kuratorin vorab. Mit der Eröffnungsveranstaltung löst sie ihre Ankündigungen ein. Es geht im ersten Teil des Stückes zunächst um so etwas wie dunkle, nicht greifbare, schon gar nicht definierbare Mächte, die das Dasein bestimmen, zum Guten wie zum Bösen. Das ist ja ein Theaterthema von alters her, was schon mal dem Publikum breite Assoziationsmöglichkeiten eröffnet. Das Ganze wird nun nicht etwa abstrakt verhandelt, sondern in recht konkreten Szenen diffizilen Bewegungstheaters mit starken, vor allem aber sehr poetischen Bildern. Ein Mensch als Schöpfer eines Wesens auf der Suche nach der vollkommenen Bewegung konstruiert und montiert eine Marionette. Kleist lässt grüßen. Was wir in knappen Szenen zu sehen bekommen, ist von suggestiver Wirkung, nicht zuletzt wegen der rasanten Schnitttechnik mit überraschenden Licht- und Soundeffekten wie im Kino. Die Marionette nimmt Gestalt an und ihre Bewegungen werden gesteuert von vier oder fünf dunklen Gestalten, die Spannung steigt, es kommt zum Kampf zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung, beide Seiten bewaffnen sich, was zu katastrophaler gegenseitiger Zerstörung führt. Das finale Bild vom zusammenbrechenden Theater samt umstürzenden Kulissen und herabfliegenden Scheinwerfern als Zeichen totaler Entmythologisierung mag für die Vision einer kosmischen Katastrophe stehen.

Ganz anders der zweite Teil des Stückes, hier stehen die choreografische und tänzerische Qualität vornan. Was zunächst wie ein Widerspruch erscheint, fügt sich wiederum über die Assoziationsmöglichkeiten zur sinnlichen Korrespondenz des Erschöpfungstheaters zuvor. Jetzt auf leerer Bühne Tanz in reinster Form, eine Tänzerin, vier Tänzer, Gruppe, Soli, Duos oder Kombinationen. Beinahe unbemerkt eine der dunklen Gestalten, beinahe unbemerkt auch deren Einfluss, der sich fortsetzt in der Art wie die Tänzer untereinander sich beeinflussen, beengen, beflügeln oder zum Stürzen bringen. Man ist gebannt von dieser Abfolge der Balancen, Antibalancen und Körperkombinationen, vom Zusehen beim Ausloten des Höchstmaßes an körperlichem Ausdruck in den von der Natur gesetzten Grenzen.

Der Schluss ist überraschend, fast ein bisschen Hollywood, schöner Sound, geheimnisvolles Licht, und eine junge Frau die dem schwarzen Overall entsteigt, verblüffend der Marionette vom Beginn gleicht, sich in einen zarten Pas de deux mit ihrem zurückgekehrten „Schöpfer“ begibt. Dann die große Stille, ein Kuss, ein Liebestod, Erlösung oder Umkehr aller Kategorien, die Marionette nämlich bewegt am unsichtbaren Faden das Herz des Menschen in ihren Armen.

So hat das Festival begonnen, der große Saal des Nationaltheaters ist gut gefüllt, das Publikum ist jung und konzentriert, am Ende begeistert. Es sollte sich lohnen, den roten Faden zu verfolgen, der noch bis zum 29. Mai durch dieses Festival führen wird. Um Menschen und Manipulationen wird es mehrfach noch gehen in den Aufführungen, aber auch um das Ausprobieren der eigenen Möglichkeiten in den Workshops. Derzeit suchen gerade noch die Jugendlichen im Projekt „dance with chance“ nach ihren Möglichkeiten. Mit der Choreografin Tanja Matjes heißt es für sie „Sturmfrei!“, und am 29. Mai zeigen sie, was sie tun oder lassen würden an jenem einen Tag der Wünsche, an dem alles für sie möglich wäre.

Das 1. Internationale Tanzfestival Weimar geht noch bis zum 29. Mai

www.nationaltheater-weimar.de

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