Aus dem holländischen Choreo-Labor

Das Nederlands Dans Theater II zu Gast im Opernhaus

oe
Stuttgart, 06/02/2011

Die Nederlands-Dans-Theatralen, die jetzt die Reihe der Gastkompanien zum Stuttgarter Fünfzigsten eröffneten, sind noch ein bisschen älter als ihre hiesigen Kollegen. Sie gingen 1959 aus einer Dissidentengruppe des Nederlands Ballet hervor und verstanden sich von Anfang an als ein Labor der experimentellen Choreografie: ein Ruf, den sie unter Harkarvy, Flier, van Manen und Tetley ausbauten und international bekräftigten, als 1975 der damals 28-jährige Jiří Kylián vom Stuttgarter Ballett zu ihnen stieß. Der hatte Anfang der siebziger Jahre seine ersten choreografischen Arbeiten präsentiert (darunter die bis heute im Stuttgarter Repertoire befindliche „Rückkehr ins fremde Land“) und 1978 die Juniorenkompanie des NDT II gegründet (der dann noch die kurzlebige Seniorentruppe des NDT III folgte).

Waren und sind es die inzwischen weit über 200 Ballette von Kylián und van Manen, die das Image der Kompanie definierten, so sind in den Jahrzehnten seither eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Junioren dazu gestoßen, die hier debütiert und inzwischen international Karriere gemacht haben, darunter so renommierte Persönlichkeiten wie Amanda Miller, Nacho Duato, Mats Ek, Johan Inger und als jüngste das Paar Paul Lightfoot und Sol León (über deren Arbeitsweise man gern im vorzüglichen Stuttgarter Programmbuch mehr erfahren hätte, denn wie kommt eine derart ko-kreative Choreografie zustande: arrangiert der eine die entsprechenden Motionen für die Arme und die andere für die Beine?).

Beide, der Altmeister Kylián und die Junioren Lightfoot/Léon (er ist Jahrgang 1966), waren mit je zwei Werken im Stuttgarter Programm vertreten – alle vier von den hingerissenen Fans im restlos ausverkauften Haus bejubelt (was sehr für die Stuttgarter spricht, denn es waren doch ziemlich ungewohnte Sehweisen, die ihnen hier zugemutet wurden). Und so wurden sie von Kylián, der sich inzwischen auf seiner Tour du monde von einem böhmischen Youngster und schwäbischen Lehrjungen über seine Abstecher bei den Aborigines und den Japanern zu einem Weltweisen gewandelt hat, zunächst auf eine Zeitreise („27 Minuten 52 Sekunden“) mitgenommen und sodann ins Zwischenreich zwischen Normalität und Wahnsinn („Gods and Dogs“), wobei es keineswegs ausgemacht war, wer die einen und wer die anderen waren.

Und auch Lightfoot/León machten es ihrem Publikum nicht gerade leicht, indem sie in ihrem Duo „Shutters Shut“, brillant getanzt und grimassiert von Astrid Boons und Spenser Theberge, voraussetzten, dass man den englischen Text von Gertrude Stein verstand, um den picassoesken Skurrilitäten à la „Parade“ folgen zu können. Noch war ihr „Subject to Change“ leichte Kost, lagen ihm doch immerhin zwei Sätze aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ zugrunde, und zwar in der aufgeblähten Mahlerschen Bearbeitung für Streichorchester mit ihrem ständigen wellenförmigen Gesäusel zwischen Pianissimo und Fortissimo, garniert mit atavistischen Schreien aus dem Urwald.

So wurde es ein Abend, direkt aus dem Experimental-Labor des NDT in der Schedeldoekshaven in Den Haag, getanzt von der dortigen Junioren-Truppe, die auch als inzwischen dreiunddreißigjährige Elite-Equipe nichts von ihrem jugendlichen kreativen Impetus und vitalen Elan eingebüßt hat – ganz wie ihre Kollegen vom Stuttgarter Eckensee.

Kommentare

Noch keine Beiträge