Maßgeschneidert aus dem holländischen Tanzatelier

NDT II mit Choreografien von Kylián und und Lightfoot León

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Ludwigsburg, 26/04/2005

Zum Abschluss des saisonalen Tanz-Zyklus des Ludwigsburger Kulturamtes im Forum am Schlosspark nach den Gastspielen mit dem Nederlands Dans Theater I und III nun also noch das fehlende Mittelstück, das aus zweimal acht Tänzerinnen und Tänzern bestehende NDT II, die alle nicht älter als 23 Jahre sind. So bekam Ludwigsburg im Laufe der letzten Monate also alle drei Ensembles der holländischen Elitekompanie zu sehen: ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes Verdienst des Ludwigsburger Chefprogrammierers, Christoph Peichl – und ganz sicher einer der tänzerischen Höhepunkte der Region der langsam zu Ende gehenden Spielzeit.

Und diesmal wieder ein rappelvolles Haus – nach dem beschämend schlecht besuchten Gastspiel von NDT I vor ein paar Wochen. Der Grund ist leicht zu erklären. NDT I trat in einer frei verkäuflichen Vorstellung auf, während der jüngste Abend im Abonnement lief. Was bei der Vorplanung der Termine so alles zu bedenken ist! Ein tolles Programm diesmal, vier regelrechte Knüller: Zur Eröffnung ein Jiří Kylián und dreimal die beiden Dioskuren Paul Lightfoot und Sol Léon – und wie fabelhaft die sich ergänzten! Und wenn NDT II ursprünglich als eine Kompanie für die Junioren zwischen abgeschlossener Ausbildung und regulärer Mitgliedschaft im repräsentativen NDT I gegründet worden ist, so hat die Truppe längst ihren Lehrlingsstatus hinter sich gelassen, tanzt sie heute auf dezidiert professionellem Niveau, so dass es schwer fiele, sähe man beide Kompanien gleichzeitig trainieren, zu sagen, wer denn nun Tänzer der einen oder der anderen Kompanie ist.

Kyliáns „Sleepless“ für drei Tänzerpaare ist ein faszinierendes Stück, das wie ein Albtraum vorüberzieht: eine einzige schräg gestellte Wand aus weißem Stoff, in die lauter Schlitze eingelassen sind, aus denen die Tänzer hervorquellen – zunächst einzelne Gliedmaßen, dann, sehr langsam Gestalt gewinnend, die vollen Tänzerkörper, zum Teil über der Erde schwebend (weil sie von Kollegen hinter der Wand gehalten werden), die sich zu einem Pas-de-deux-Paar verdichten, von Aurélie Cayla und Alexander Ekman wie eine Gespenstersonate zelebriert. Das Ganze mutet in seinen Zeitlupen-Motionen wie eine Phantasmagorie von Paul Klee an.

Danach dann „Subject to Change“ von Lightfoot León zum Variationssatz aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ für Aurélie Cayla und Georgi Milev plus vier pechschwarze Tänzer choreografiert, die einen quadratischen roten Teppich ausrollen, der dann in immer wieder neuer Drapierung als Hauptdekor dient. Das ist zunächst für Schubert-Freunde schwer zu goutieren, da die Lautstärke ständig fluktuiert und wird ganz schlimm wenn die vier apokalyptischen Männer sich unartikuliert schreiend verlautbaren, ist aber insgesamt von einem so musiksensiblen Motionsfluss, der sich bei allen extremen Dehnungen und Streckungen des Vokabulars ganz wunderbar den melodischen Kurvaturen Schuberts anpasst. Und auch ohne anekdotischen Direktbezug zum Programm der Musikvorlage durch seine ebenso zarte wie hochdramatische Auseinandersetzungs-Intensität fesselt – besonders wenn sie so poetisch erfüllt getanzt wird wie von Cayla und Milev.

Im zweiten Teil dann ein Duo von Lightfoot León zu einem deklamierten Gedicht von Gertrude Stein für Andrea Schermoly und Alexander Ekman. Nicht unbedingt mein Fall, aber ich muss zugeben, dass die Choreografie die geradezu musikalische Qualität der Textdeklamation nachzeichnet – in Bewegungen, die mehr von Cartoon-Figuren als von irgendwelchen klassisch-modernen Bewegungsidiomen inspiriert scheinen. Und zum Schluss der aus dem Repertoire des Stuttgarter Balletts bestens bekannte Rausschmeißer „Skew-Whiff“ von Lightfoot León zu Rossinis unverwüstlicher Ouvertüre „Die diebische Elster“. Das ist eine umwerfende Burleske für drei Tänzer, die von Donald Duck gezeugt sein könnten und der auch hier wieder unwiderstehlichen Aurélie Cayla zu imponieren versuchen. Das Publikum in ausgesprochen angejuxter Karnevalslaune, mitten im April!

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