Nach wie vor prekär

Am Sonntag beginnt das Festival „Tanztage” in den Sophiensaelen - seine Zukunft bleibt allerdings ungewiss

Berlin, 01/01/2010

Das erste Festival im neuen Jahr ist immer auch eines der spannendsten. Wer zu den Tanztagen in die Sophiensaele kommt, wird dort mit Arbeiten junger Künstler konfrontiert, die häufig noch niemand gesehen hat: „Das ist der Reiz”, sagt Kurator Peter Pleyer, „dass man das Programm aufschlägt, und selbst erfahrene Spezialisten höchstens die Hälfte der Künstler kennen - wenn überhaupt. Und der Rest ist eine große Überraschung.” Auf drei Bühnen präsentiert Pleyer weitgehend Uraufführungen von Choreografen, deren Konzepte ihn überzeugt haben: „Da kann auch schon mal was in die Hose gehen. Das ist ein Festival, wo keine Meisterstücke gezeigt werden, weil das Anfänger sind.”

Gerade dieser Reiz des Neuen, oft Unfertigen macht die ungebrochene Popularität des Festivals aus, das 1996 gegründet wurde und seit 2000 pünktlich zum Jahresbeginn in den Sophiensaelen stattfindet. Auch in diesem Jahr werden sich trotz der angekündigten arktischen Temperaturen wieder lange Warteschlangen an der Abendkasse bilden. Tanzexperten werden ebenso dabei sein wie neugierige Laien, oder internationale Kuratoren, die nach „Frischfleisch” für ihre Festivals suchen. Schließlich wurden renommierte Berliner Künstler wie z.B. Two Fish bei den Tanztagen entdeckt.

Auf ein thematisches Konzept wird bei dem Festival traditionell verzichtet. Dennoch kristallisiert sich für Pleyer nicht nur eine stärkere Internationalisierung, sondern auch eine formale Konstante heraus: „Was mich persönlich sehr freut, ist, dass es anscheinend eine Rückkehr der Physis gibt. Bei fast allen Produktionen, die ich bisher bei den Proben gesehen habe, wird richtig heftig geschüttelt, gesprungen und getanzt. Da fließt richtig Schweiß.”

Unabhängig vom Mainstream des internationalen zeitgenössischen Tanzes gehen die Künstler der Tanztage ihre eigenen individuellen Wege - egal ob sie sich bereits einen Namen gemacht haben, wie die Meg Stuart-Interpreten Hermann Heisig und Kotomi Nishiwaki, oder ob sie eher aus der bildenden Kunst stammen wie die Schweizerin Beatrice Fleischlin.

Der Vielzahl unterschiedlicher Kontexte, aus denen die Berliner Künstler kommen, fügt Pleyer in diesem Jahr noch einen weiteren hinzu: In Zusammenarbeit mit dem choreografischen Zentrum Stary Browar in Posznan präsentiert er die Arbeiten dreier junger polnischer Choreografinnen, die es in Berlin sonst eher schwer hätten: „Im Gegensatz zu den vielen Amerikanern oder Franzosen, für die Berlin sehr billig ist, erleben osteuropäische Künstler die deutsche Hauptstadt als teure westeuropäische Metropole, in der das Arbeiten nach wie vor schwierig ist.”

Trotz des großen Erfolges bleibt auch der Status der Tanztage prekär. Pleyer, der das Festival seit drei Jahren leitet, muss nach wie vor jedes Jahr einen neuen Antrag auf Förderung stellen. 50.000 Euro stehen ihm für die kommende, sowie für die bereits gesicherte nächste Ausgabe 2011 zur Verfügung. Bei rund 20 Produktionen bleibt für die Künstler selbst kaum mehr als ein Taschengeld übrig.
Wie es danach weitergeht, steht überdies in den Sternen. Für Februar 2011 haben die drei Gesellschafter der Sophiensaele, Jochen Sandig, Sasha Waltz und Amelie Deuflhard eine sechsmonatige Schließung der Räumlichkeiten für dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen angekündigt. Was danach künstlerisch geschieht, bleibt offen. So läuft der Vertrag der engagierten künstlerischen Leiterin der Sophiensaele Heike Albrecht im Dezember 2010 aus. Gerüchten zufolge treiben die Gesellschafter die Fusion der Sophiensaele mit dem ebenfalls von Sandig und seinem Partner Folkert Uhde geleiteteten Radialsystem V voran.

Im vergangenen Sommer verweigerte der Berliner Senat den Sophiensaelen eine Erhöhung der Projektförderung. In einer erschreckend kurzsichtigen Begründungsnotiz machte die Evaluierungsjury Heike Albrecht persönlich dafür verantwortlich, dass das Haus „an Kontur verloren” habe. Die künstlerische Leiterin, deren Arbeit international anerkannt ist, fürchtet nun um die Unabhängigkeit des Ortes. Sie, der es stets darum ging, einen „Vertrauensraum” für Künstler und Publikum zu schaffen, kann sich nur schwer vorstellen, dass die Sophiensaele nach einem ähnlichen Konzept wie das auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtete Radialsystem funktionieren können: „Es ist nicht die Aufgabe der Sophiensaele, im Sinne eines Unternehmens zu arbeiten. Ihre Aufgabe ist es, immer wieder aufs Neue ein Experimentierfeld zu sein.” In diesem Sinne ist auch der Erhalt der Tanztage mehr als wünschenswert.

Tanztage: vom 3.1. bis 13.1. in den Sophiensaelen

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