Uneitel aber ehrgeizig

Manuel Legris über seine Pläne als Wiener Ballettdirektor

Wien, 28/04/2010

Manuel Legris war bis vor wenigen Monaten das, was man einen internationalen Startänzer nennt und als solcher bester Botschafter französischer Ballett-Kultur. Mit Andrea Amort sprach er über seine Pläne für Wien, das neue Repertoire, Nurejew und die Ballettschule sowie Auftritte in der Volksoper.

Wer hat Sie überzeugt, das Angebot des designierten Operndirektors Dominique Meyer anzunehmen und das Wiener Ballett, das künftig Wiener Staatsballett heißen wird, zu übernehmen?

Manuel Legris: Das war schon Dominique Meyer selbst. Es war eine große Überraschung für mich, als er mich fragte, ob ich das Wiener Ensemble leiten will. Ich habe zu diesem Zeitpunkt noch sehr viel getanzt, wusste auch gar nichts von dieser Stelle. Irgendwie war mir die Frage zwar nahe, aber gleichzeitig war sie auch weit weg. Wenn du tanzt, dann willst du das bis zur letzten Minute machen. Paris war mir sehr nahe, ich wollte zuerst eine Sache beenden (Legris gab im Mai 2009 seine offizielle Abschiedsvorstellung an der Pariser Oper), und dann schauen. Natürlich mag ich Wien, das ist eine schöne Stadt mit einer starken Tradition. Aber ich spreche (noch) nicht Deutsch; Französisch und Englisch ja, vieles schien mehr sehr unklar. Ungefähr sechs Monate später fragte er mich wieder, ich hatte bis dahin weder Ja noch Nein gesagt, er meinte, dass es wirklich sein Wunsch wäre.

In der Zwischenzeit hatte ich auch ein Angebot, Ballettmeister an der Pariser Oper zu werden. Aber ich dachte dann: Ballettmeister ist eine Sache, aber die Möglichkeit, ein Ensemble zu leiten, ist schon ein anderer Schritt. Ich bin dann am nächsten Morgen aufgewacht und wusste: Ja, es ist Wien. Und zwar ohne die Wiener Tänzer gesehen zu haben. Ich war sicher, dass es auch hier gute Tänzer gibt, wie auf der ganzen Welt. Und dann sagte ich mir: Du schaust nicht zurück und stellst dich der Herausforderung.

Aber Sie tanzen noch?

Manuel Legris: Ja, aber natürlich nicht das große Repertoire, das ich in Paris getanzt habe… Ich arbeite gerne mit modernen, mit neuen Choreografen zusammen und tanze dann das, was ich wirklich gerne tanzen will. Neulich habe ich in Japan „Winter Dreams“ von Kenneth MacMillan getanzt, also eigentlich eine klassische Sache, aber für mich war sie neu. Ich bin noch in Form, aber ich habe eigentlich nicht vor, hier in Wien zu tanzen. Meyer hat einen Direktor gesucht, einen künstlerischen Leiter, aber keinen Tänzer. Allerdings beginnt sich die Sache zu wenden. Kürzlich meinte er, ob ich nicht daran denke, während der kommenden Spielzeit auch zu tanzen. Er meinte bei speziellen Abenden oder Ereignissen wäre es doch gut. Also vielleicht bei einem oder zwei Abenden, eventuell bei der Nurejew-Gala. Mir ist lieber, die Menschen sagen: Schade, dass er nicht auftritt, wir vermissen ihn, als zu hören: Wieso ist der auf Bühne? Also wenn Sie mich auf der Bühne sehen, dann habe ich was zu geben. Das ist für mich ganz klar. Ich habe so viele Vorstellungen getanzt, wenn ich also tanze, dann nur weil es etwas Besonderes gibt.

Haben Sie bestimmte Bedingungen an Meyer gestellt?

Manuel Legris: Jeder neue Direktor fordert vermutlich mehr Tänzer-Posten, mehr Vorstellungen, mehr Budget. Die Situation hier ist ganz gut, eigentlich sehr gut. Ich habe wohl vieles diskutiert. Aber ich hatte auch genügend Zeit, mit Choreografen zu sprechen und das Ganze vorzubereiten. Außerdem muss ich ja auch lernen, ich kann nicht vorgeben ein fertiger Direktor zu sein. Ich muss lernen wie das Ensemble zu führen ist, wie mit dem Budget umzugehen ist. Ich bin da sehr ehrlich und will nicht so tun, als würde ich schon alles wissen. Ich habe ein sehr gutes Gefühl, ich habe immer sehr gute Kontakte zu den Tänzern. Natürlich muss ich auch klug agieren, das Publikum hier verstehen. Ich bin nicht hergekommen, um einfach den Job zu machen. Ich werde wirklich für die Tänzer kämpfen, ich möchte, dass es ihnen gut geht, dass wir mehr Vorstellungen bekommen und natürlich auch auf Tournee gehen. Ich sehe das wie einen Zug, der auf uns zukommt, nicht nur auf mich, auf uns alle, und wir springen da jetzt auf…

Wie bauen Sie Ihr neues Programm? Mit sieben Premieren insgesamt, davon zwei in der Volksoper, haben Sie ja mehr als die Oper.

Manuel Legris: Das Programm mag vielleicht nicht sehr neu sein, der Jerome-Robbins-Abend zum Beispiel, aber ich versuche Meisterwerke internationaler wichtiger Choreografen zu zeigen. Das heißt, auf dem Papier ist der Spielplan ein ganz eindeutiger. Es wird an den Tänzern sein, sich auch entsprechend dafür einzusetzen. Ich möchte natürlich auch Kooperationen mit Choreografen eingehen, die neue Stücke für uns machen und zwar auf höchstem Niveau. Also Jiří Kylián zum Beispiel. Ich wollte, dass er einen ganzen Abend für uns macht, also dass wir nicht wieder seine „Sechs Tänze“ von Mozart machen. Aber er war sehr zurückhaltend und meinte, die Tänzer seien nicht gut genug. Frag lieber verschiedene Choreografen, deren Werke dann einen Abend ergeben, und ich komme vielleicht später nach Wien, sagte er. Mein Wunsch ist natürlich der, dass wir eine Beziehung aufbauen und gemeinsam wachsen. Und er meinte dann, weil du es bist, gebe ich dir „Bella Figura“ (eines der schönsten Kylián-Werke mit Musik von Pergolesi, Vivaldi und Torelli). Eines ist sicher: Ich schätze das klassische Repertoire und ich werde hier keine Revolution machen, aber natürlich möchte ich das Repertoire in die Moderne ausdehnen. Und „Bella Figura“ ist meiner Ansicht nach bereits ein klassisches Werk.

Sie beginnen im Herbst nach einer „Onegin“-Serie den Premierenreigen mit einem mehrteiligen amerikanischen Abend bestehend aus zwei Werken von George Balanchine („Thema und Variationen“ und „Rubies“) und je einem Werk von Twyla Tharp („Variationen über ein Thema von Haydn“) und William Forsythe („The Vertiginous Thrill of Exactitude“).

Manuel Legris: Wir brauchen einen guten Start. Balanchine ist anspruchsvoll, aber auch das Haydn-Stück von Tharp – da sind 26 Tänzer auf der Bühne und das sehe ich schon wie einen Test für uns. Kann sein, dass ich enttäuscht sein werde, weil ich einfach sehr viel von uns allen erwarte. Wenn wir dieses Programm gut bewältigen, dann geht es uns in der ganzen Spielzeit gut. Es werden alle auf der Bühne sein.

Das klingt so, als müssten Sie eigentlich auf der Stelle mit den Proben beginnen.

Manuel Legris: Wir beginnen am 23. August mit den Proben. Es sind gute Tänzer. Wir müssen nur die richtige Energie finden, um die unterschiedlichen Stile herauszubringen. Aber ich möchte sowieso sehr viel Zeit in den Probenstudios verbringen. Das ist meine dringlichste Aufgabe. Alle die Choreografen, mit denen wir arbeiten, kenne ich, bzw. deren Stücke. Ich habe das so ziemlich alles selbst getanzt. Und ich kann das Wissen gut weitergeben. Das war natürlich auch ein Grund, warum ich das Programm genau so zusammengestellt habe.

Sie haben ja auch Rudolf Nurejews „Don Quixote“-Inszenierung angesetzt. Mit diesem Dauererfolg hat er 1966 an der Wiener Staatsoper begonnen.

Manuel Legris: Das werde auch ich einstudieren - natürlich nicht die gesamte Inszenierung, aber mit den Solisten werde ich arbeiten. Die Rolle des Basil habe ich von Nurejew in fünf Tagen im Studio gelernt, ich habe seine Inszenierung das erste Mal an der Scala getanzt. Was ich damit sagen will: Ich habe alle diese Informationen und ich gebe sie sehr gern weiter. Was die gesamte Inszenierung betrifft, muss ich erst sehen, mit wem wir das machen, inwieweit Richard Nowotny (langjähriger Assistent Nurejews aus Wien) uns da helfen kann.

Herr Legris, Sie übernehmen ja ein Ensemble, das mittlerweile vor allem aus russischen oder aus den ehemaligen sozialistischen Ländern stammenden Tänzern besteht. Was macht da ein Franzose?

 

Manuel Legris: Nurejew, einige Zeit mein Direktor in Paris, war auch Russe und russisch geschult. Aber so viel Unterschied sehe ich da gar nicht. Manchmal heißt es, die Russen werfen die Beine statt sie zu führen und können keine fünfte Position einnehmen. Aber ich bin insgesamt sehr positiv, es braucht Zeit und wir haben viel Arbeit vor uns. Die Tänzer hier sind sehr offen. Ich kann ihnen viel geben und ich bin sicher, dass ich auch viel zurückbekommen werde.

Unter Ihrer Direktion gibt es wieder den Rang der Ersten Solisten. Bei den Damen werden das die bereits im Ensemble befindlichen Maria Yakovleva und Olga Esina sein. Wann folgen die Herren?

Manuel Legris: Ich hatte nicht genug Zeit, das Ensemble gut genug kennen zu lernen. Bei den Damen war es für mich sofort klar, sie müssen Fortschritte machen, aber sie sind jung. Bei den Herren war es mir nicht klar. Außerdem bekam ich sehr viele internationale Angebote, da wollte ich nicht gleich die Tür zumachen. Ich möchte schon jeweils vier bis fünf Erste Solisten haben. Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf Tournee und können nur zwei Erste Solisten nennen…

Das Wiener Publikum war Gäste gewöhnt. Vladimir Malakhov tanzte hier oft, einige Solisten vom Petersburger Ballett traten auf. Sie werden vor allem ihr Ensemble promoten?

Manuel Legris: Ja, ich habe die Situation fast wie einen Schock erlebt: 40 Mädchen im Corps de ballett, ein paar wenige Solisten und keine Ersten Solisten, sondern nur Gäste. Diese Tänzer haben doch keine Hoffnung jemals eine Stufe weiter zu kommen und auch gar keinen Anreiz, sich zu verbessern. Ich finde es seltsam, an einem Abend beispielsweise Ketevan Papava und Nina Polakova solistisch eingesetzt zu sehen und am nächsten Abend tanzen sie in der letzten Reihe.

Was halten Sie von den Auftritten, die das Ballett in der Volksoper macht?

Manuel Legris: Ähnlich wie bei der letzten Frage: Am Anfang habe ich das gar nicht verstanden. Jetzt verstehe ich es langsam besser, aber ich halte die Zusammenlegung der beiden Ensembles (seit 2005, Anm.) für sehr kompliziert. Es soll ein Ensemble sein, aber in der Praxis ist das nicht möglich, es sind nach wie vor zwei Ensembles. Das Niveau in der Volksoper ist auch ein anderes, die Tänzer haben auch sehr viele Auftritte in Operetten etc. Da Probenpläne zu erstellen, um für eine neue Produktion womöglich Tänzer aus beiden Häusern einzusetzen, ist fast unmöglich. Auch die Programmierung ist schwierig: „Marie Antoinette“ von Patrick de Bana wird mit Tänzern aus beiden Ensembles besetzt sein. Ich mag „Le Concours“ von Maurice Béjart, aber ich habe das Stück programmiert, weil ich es für die Volksoper gut halte. Wäre nicht die Volksoper, die uns die Möglichkeit für ungefähr 30 Vorstellungen gibt, hätte das Ensemble nur rund 50 und das ist natürlich viel zu wenig.

In der Volksoper planen Sie auch drei Abende, die Sie „Junge Talente“ nennen. Meinen Sie tänzerische oder choreografische Talente?

Manuel Legris: Nein, es geht um junge Tänzer, die in unterschiedlichen kurzen Werken zu sehen sein sollen. Das ist etwas, womit ich auch in Paris aufgewachsen bin. Mit solchen Programmen können Tänzer wachsen, aber auch das Publikum bekommt Lust, diese Tänzer in anderen Rollen an der Staatsoper zu sehen. Auf diese Weise kommen auch diese jungen Tänzer ins Rampenlicht, das ist wichtig. Ich meine damit kein Gala-Programm, sondern schon ein abwechslungsreiches, unterschiedliche Stile vereinendes Programm. Da geht es auch darum, die nächste Generation aufzubauen.

Sie haben Chantal Lefèvre ins Team der Proben- und Trainingsleiter geholt?

Manuel Legris: Aus vielen Gründen. Ich habe viel bei John Neumeier in Hamburg getanzt. Ich kannte sie von dort und schätzte ihre qualitätvolle Arbeit. Außerdem spricht sie Deutsch. Ich glaube, dass sie für die Qualität des weiblichen Ensembles sehr gut sein wird. Aber ich habe sie nicht engagiert, weil sie Französin ist. Da gab es ja diese Gerüchte, dass ich mit einer ganzen Horde französischer Tänzer nach Wien kommen würde. Das stimmt natürlich nicht. Bei der Audition habe ich von vierzehn französischen Mädchen nur ein einziges engagiert. Ein einziges! Es kann sein, dass ich Monique Loudières oder Isabelle Guerin einlade, um als Gast mitzuhelfen bei manchen Dingen, auch Elisabeth Platel. Aber das wird man erst sehen.

Wird John Neumeier an der Staatsoper präsent sein?

Manuel Legris: Ich hatte ein Projekt mit ihm, aber das ist zu kompliziert, auch aus Gründen des Orchesters. Aber ich hoffe, dass er in meinen fünf Jahren in Wien dabei sein wird. Eine Kreation wäre fein, aber er ist sehr, sehr beschäftigt. Aber ich arbeite bereits an der zweiten Programmierung der zweiten Spielzeit, ja, es geht alles sehr schnell.

Die Ballettschule der Wiener Staatsoper haben Sie Simona Noja anvertraut?

Manuel Legris: Simona Noja war hier lange Ballerina, ich dachte, dass sie die Richtige ist. Ich hoffe, dass in den nächsten Jahren aus der Schule guter Nachwuchs kommt. Das Wiener Staatsballett soll ein Anreiz für den Nachwuchs sein und ich will mich auf die Jungen freuen. Wenn ich in der Schule ein talentiertes Mädchen sehe, möchte ich mir vorstellen, welche tänzerischen Aufgaben ich ihr einmal geben könnte. Das wäre ein Ensembleaufbau, der Sinn macht.
Vielen Dank für das Gespräch! www.wiener-staatsoper.at

 

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