koeglernews 13

Was nicht in den deutschen Zeitungen steht

oe
Stuttgart, 28/05/2010

Die Nummer dreizehn verheißt nichts Gutes – und mit einer negativen Nachricht hebt denn auch die dreizehnte Ausgabe der koeglernews an: dem Verriss der New York Times über die Premiere der Produktion von John Neumeiers „Kameliendame“ beim American Ballet Theatre in der Met am Dienstagabend, mit Julie Kent und Roberto Bolle in den Hauptrollen. „Parisian Courtesan Returns, Bearing Feminist Credentials“ titelt der von mir im Allgemeinen durchaus geschätzte Alastair Macauley seine sehr ausführliche 1.183-Worte-Kritik. Sie befasst sich hauptsächlich mit Neumeiers angeblich ausgesprochen feministischer Perspektive seiner Interpretation – an der, wenn ich mich recht erinnere, noch kein deutscher Kollege Anstoß genommen hatte. Sie lässt aber auch sonst nichts Gutes an Neumeiers Version, der Macaulay choreografisch „ill-digested Ashtonism“ vorwirft und eine tänzerische Grammatik, die die Bewegung gleichzeitig „busy and thin“ aussehen lässt. Es kommt aber noch schlimmer: Des Grieux „is given perhaps Mr. Neumeier‘s most unmusical choreography“, die ihn „wie ein spektraler milksop“ erscheinen lässt. Den „milksop“ musste ich erst im Lexikon nachschlagen und hatte schon befürchtet, damit sei eine Milchausgabe der sprichwörtlichen Seifenoper gemeint – es handelt sich aber um eine Art „Weichei“. Gleichwohl halte ich Macaulay – meiner grundsätzlich anderen Meinung über Neumeiers „Kameliendame“ unbeschadet – für einen der weltbesten Ballettkritiker (siehe auch seinen brillanten Essay über „The Big Sleep“ anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von „Dornröschen“ in dem von mir ja schon mehrfach erwähnten amerikanischen 1.300-Seiten-Konvolut „Reading Dance“).

Immerhin haben sich einige von Macaulays amerikanischen Kollegen einer etwas differenzierteren Kritik befleißigt. So stöhnt zwar Leigh Witchel in der „New York Post“ über den „long evening“ (auch über „a lot of Chopin“), muss aber zugeben „by the end, there’s not a dry eye in the house”. Und dem pflichtet auch Wendy Perron, die Chefredakteurin des amerikanischen „Dance Magazine“ in ihrem Blog bei: „This is a lavish, voluptuous tragedy of a ballet“, und sie vermutet „That once audience members begin to know the story as well as they know the plot of Swan Lake, they’ll want to see Lady of the Camellias again and again“. Übrigens auch heute, drei Tage nach der Premiere in der New Yorker Met, keine Zeile – weder pro noch kontra – in den deutschen Zeitungen. Wenn ich mir vorstelle, was das für ein Echo ausgelöst hätte, wenn etwa eine Oper von Henze an der Met gegeben worden wäre (worauf Henze offenbar noch immer wartet) … Also seien wir froh, dass wir wohl so schnell nicht befürchten müssen, Neumeier an Amerika zu verlieren – und auch nicht an England, wo sich die „Dancing Times“ in ihrer Mai-Ausgabe Gedanken über die 2012 anstehende Ablösung von Monica Mason als Direktorin des Royal Ballet macht.

Acht Vorschläge unterbreitet Gerald Dowler dort, aber nur eine einzige Dame ist darunter: Deborah Bull, ehemalige Tänzerin der Kompanie und derzeit Administratorin des Royal Opera House Programms „of non-main auditorium performances as well as acting as governor of the BBC and member of the Arts Council“. Die restlichen sieben sind alles gestandene Mannsbilder, darunter David Bintley, Wayne Eagling, Johan Kobborg, Wayne McGregor, Irek Mukhamedov und Christopher Wheeldon. John Neumeier ist nicht darunter (er wird ja 2012 auch bereits 70). Die Mai-Ausgabe der „Dancing Times“ erschien ja bereits vor den englischen Wahlen, und da fand ich doch bemerkenswert, wie sich Dance UK für eine Kampagne engagierte und Hunderttausende von „dance enhusiasts and professionals across the UK“ ermutigte, „whatever their political persuasion, to contact local candidates standing for election, tell them about dance in their area and ask them to pledge their support for dance.“ Zur Nachahmung bei den demnächst bei uns bevorstehenden Wahlen (u.a. Landtag Baden-Württemberg) empfohlen!

In derselben Ausgabe übrigens auch ein Bericht über das Londoner Gastspiel des Wuppertaler Tanztheaters mit der Gegenüberstellung der beiden Versionen von „Kontakthof“ – einmal mit den „Teenagers over 14“ und einmal mit der Gruppe von Senioren: „So from one night to the next ‚Kontakthof‘ changed radically, because teenagers and seniors don‘t move or react the same way“. Habe ich auch noch nichts darüber in den deutschen Gazetten gelesen! Übrigens kann ich jedem Interessierten nur empfehlen, sich das brillant gemachte Programmheft zur der von Christian Spuck inszenierten und choreografierten Stuttgarter Produktion von Glucks „Orphée et Eurydice“ zu besorgen. Da handelte es sich bekanntlich um die für Paris für Tenor (anstelle des Altkastraten) und zahlreiche zusätzliche Balletteinlagen ergänzte Neubearbeitung, die nach der soeben erschienenen Neuaufnahme der Oper mit dem Startenor Juan Diego Flórez (auf Decca 478 2197) auf breiter internationaler Ebene besprochen wird.

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