Gegensätze, die eher einander konterkarieren als sich anziehen

Hans van Manen und Heinz Spoerli im neuen Programm des Zürcher Balletts

oe
Zürich, 28/03/2010

Strawinsky war 28, als sein „Feuervogel“ 1910 in Paris zur Uraufführung gelangte. Benjamin Britten war 24, als er seine „Frank Bridge Variations“ 1937 für die Salzburger Festspiele komponierte. Der neue Zürcher Ballettabend stellt beide Werke einander gegenüber: Britten, choreografiert 2005 vom damals 73-jährigen Hans van Manen für fünf Paare des Holländischen Nationalballetts –Strawinsky, uraufgeführt an diesem Abend vom knapp siebzigjährigen Zürcher Ballettchef Heinz Spoerli für vier Solisten, zwölf Prinzessinnen und sechzehn Monster plus fünf Damen in Schwarz. Ein Programm der Gegensätze, aber von gleich exquisitem musikalischen Anspruch, akkompagniert vom Orchester der Oper Zürich – für die Feinstabstimmung zwischen Graben und Bühne sorgt der Dirigent Zsolt Hamar.

Die „Frank Bridge Variations“ reihen neun Miniaturen, Soli, Pas de deux, Trios und Sextette, konzertante Essays, in denen nichts geschieht und doch ungemein viel passiert, Lyrisches, Dramatisches, Verträumtes, Kämpferisches, Lauerndes, Explosives, Zartes, Brutales, Angedeutetes, Explizites. Zehn Tänzer in farblich raffiniert changierenden Ganztrikots von Keso Dekker, in van Manens energetischem klassizistischen Explosivstil, die Arme wie Geweihe aus den Schultern wachsend, aus der Spritzpistole in den Raum geschossen. Die zehn Solisten der Kompanie, angeführt von Yen Han und Iker Murillo, Nora Dürig und Vahe Martirosyan jagen über die Bühne im feinsten Zürcher Designer Look. Choreografie als musikalisches Raum-Design mit dem Niederländisch-Schweizerischen Qualitätssiegel.

Danach dann also „Der Feuervogel“, der komplette, ungekürzt, nicht die Suiten (wie sonst meist heutzutage). Das war vor hundert Jahren reinste russische Märchen-Exotik. Und heute? Kaum noch naiv interpretierbar. Und so gibt‘s anfangs allzu ausgedehnte, unverbindliche Tändelei. Hübsche Mädchen, ein bisschen Versteckspiel. Ein Prinz, der Zarewitsch: Arsen Mehrabyan, unschlüssig im Walde herumspazierend. Ein brandroter Feuervogel auf Spitze: Aliya Tanykpayeva herumschwirrend. Zarte Annäherungsversuche. Aber das zieht sich und zieht sich und führt doch zu nichts. Dann ein Dutzend noch hübschere Prinzessinnen, und ganz besonders die bildschöne zarte Zarewna alias Viktorina Kapitonova. Iwan Zarewitsch jetzt ein bisschen draufgängerischer. Dann endlich, endlich geht‘s los. Monster martialisch, die Iwan Zarewitsch attackieren, ihr Obermonster Kastschei, der Fiesling Arman Grigoryan, waghalsige Klettertouren an seiner bienenwabenartigen Festung vom Architekten Roland Aeschlimann. Und jetzt kommt Spoerlis Choreografie auf Touren. Es wird gefighted, gehechtet, gesprungen, geworfen, geschleift, kopfüber, beinunter, geklettert, gemobbt, stürzen sich die fünf Ladies wie Erynnien, Kastscheins Walküren-Garde auf den armen Iwan. Das kann Spoerli, das können die Zürcher Tänzer, da gewinnt die Zürcher Aufführung Brisanz und Dynamik. Und in höchster Not kommt der Feuervogel Iwan zu Hilfe, vermählt ihn mit der Zarewna, und weißgekleidet, mit dem Krönchen auf dem Haupt, schreiten die beiden apotheotisch in den Kosmonautenhimmel.

Übrigens die Zürcher Ballettpläne in der nächsten Spielzeit: Spoerli-Nocturnes zu Chopin-Musik, zusammen mit Robbins‘ „In the Night“ und eine Spoerli-Kreation am 28.8, dann Kyliáns „Falling Angels“ und „Il giornale della necropoli“ von Thomas Hauert am 31.10. und Spoerlis „Lied von der Erde“ (Mahler) plus eine weitere Spoerli-Kreation am 2.4.2011.

 

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