Eines Mannes Obsession

Am Montag sendet arte „Nijinsky & Neumeier – Eine Seelenverwandtschaft im Tanz“

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Stuttgart, 10/04/2010

Sein Alphabet beginnt und endet mit N. Denn als Neumeier, John, kam er vor 68 Jahren auf die Welt. Das war irgendwo im mittleren Westen. Und dort entdeckte er ungefähr als zehnjähriger Knirps in der Stadtbücherei ein Buch „The Tragedy of Nijinsky“. Da hatte er noch keine Ahnung vom Tanz – sagt er. Die Tragödie dieses Nijinsky fesselte ihn. Und sie fesselt ihn bis heute. Und wird ihn wohl bis ans Ende seiner Tage fesseln. Denn es ist die unendliche Geschichte – seines – und Nijinskys Lebens. Und so ging er hin und lernte den Tanz. Lernte alles, was man über das Leben dieses Tänzers wissen kann. Begann alles über ihn zu sammeln, dessen er habhaft werden konnte. Und suchte die Stadt, in der er seinen Traum leben konnte. Und die fing leider nicht mit N an – denn Nürnberg wäre dafür doch wohl kaum geeignet gewesen.

Also entschied er sich für Hamburg. Und machte Hamburg Nijinsky-verrückt. Seit nunmehr 37 Jahren. Baute dort seine Kompanie auf, das Hamburg Ballett John Neumeier. Das er auch das Hamburg Ballett Vaslav Nijinsky nennen könnte. Denn dessen ganzes Repertoire ist auf Nijinsky ausgerichtet. Kaufte ein Haus, aus dem er ein Museum machte, die Residenz seiner Sammlung, die die größte Nijinsky-Sammlung der Welt ist – nicht nur der Dokumente seiner tänzerischen und choreografischen Aktivitäten, sondern auch seiner Hinterlassenschaft als Schriftsteller, Zeichner und Maler. Überzeugt davon, dass einmal ein Erbe kommen werde, der sein Vermächtnis kommenden Generationen weiterreichen würde. Und als dessen Verweser versteht sich dieser John N. aus dem mittleren Westen, der inzwischen zu einem Hamburger Ehrenbürger geworden ist. Der noch immer, inzwischen im Seniorenalter, um die moderne Form der Lyrik ringt, ihm auf heutige Weise gerecht zu werden. Denn das war diesem Vaslav N. im wirklichen Leben nicht vergönnt – der die letzten dreißig Jahre seines Lebens umnachtet in Finsternis verbrachte, verzweifelt über eine Welt, die einander bekriegte und einander umbrachte, statt sich ihrer in Liebe zu bemächtigen.

Und über diesen John N. und seine Seelenverwandtschaft zu V. N. hat der WDR einen Fernsehfilm gedreht, den arte am Montagabend sendet, um 22.10 Uhr, anderthalb Stunden lang. Annette von Wangenheim heißt seine Drehbuchautorin und Regisseurin (ein paar Leute werden sich noch an ihren Film über Palucca erinnern). Also wenn Sie mich fragen: ich halte ihn für den besten Film über den Tanz seit es das Fernsehen gibt. Und so unendlich war und ist dieses Tänzerleben, dass John N. drei seiner besten Tänzer einsetzen musste, um diesem V. N. gerecht zu werden: Otto Bubeníček für den Mann N., Alexandre Riabko für den besten klassischen Tänzer der Ballettgeschichte, und Lloyd Riggins für den ewigen Harlekin namens Petruschka, mit den beiden sehr verschiedenen Augen in seinem Kopfe. Ich habe ihn bisher dreimal gesehen – und ganz sicher nicht zum letzten Mal!

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