Eine dreifache Hommage an Diaghilew, Noverre und Nijinsky

Die herbstliche Residenz des Hamburg Balletts an der Oos

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Baden-Baden, 21/10/2010

Sie ist zu einem Fixum des deutschen Ballett-Kalenders geworden: die herbstliche Residenz des Hamburg Balletts in Baden-Baden. Fast schon so etwas wie die alljährlichen Saisons der Ballets Russes von Diaghilew in Monte-Carlo (ich freue mich schon auf 2098, da können wir dann das hundertjährige Jubiläum des Balletts von John Neumeier in Baden-Baden feiern!). Sie dauert in diesem Jahr vom 15. noch bis zum 23. Oktober und bot als Auftakt drei Vorstellungen von Neumeiers „Endstation Sehnsucht“, dann eine Ballett-Werkstatt der Hamburger Kompanie und dreimal das Programm „Hommage aux Ballets Russes“ mit Neumeiers „Pavillon d‘Armide“, „Vaslaw“ und „Le Sacre“. So wurde sie, wohl eher zufällig, auch zu einer „Hommage au Jean-Georges Noverre“, dessen zweihundertsten Todestags wir in diesen Wochen gedenken (und mit der Neuausgabe seiner „Lettres sur la danse et sur les ballets“ von Ralf Stabel auch gebührend feiern).

Denn wer, wenn nicht John Neumeier, hätte heute ein Anrecht, als legitimer kreativer Erbe von Diaghilew und Noverre gefeiert zu werden? Denn Neumeiers „Pavillon d‘Armide“ steht exakt in der Tradition von Noverres Ballet d‘action und beglückt bei jedem Wiedersehen durch seine dramaturgische Konsequenz, seine feine Musikalität und seinen choreografischen Reichtum (à la Petipa und Fokine) – ganz zu schweigen von der tänzerischen Qualität und Gediegenheit seiner Einstudierung. Was für eine Kompanie, mit Otto Bubeníček als Nijinsky an der Spitze, Joëlle Boulogne als seine Frau, Ivan Urban als Arzt und Diaghilew, Thiago Bordin als Danseur siamoise, Alexandr Trusch als junger Nijinsky und Carolina Agüero, Hélène Bouchet sowie Alexandre Riabko im Pas de trois nebst all den fabelhaften Tänzern in den großen Gesellschafts-Tableaux! Und dann „Le Sacre“, Strawinskys musikalische Atombombe von 1913 als Neumeiers erster choreografischer Kraftakt aus Frankfurter Tagen. Heute so explosiv wie eh und je, mit der Enkel-Generation der Patricia Tichy, Silvia Azzoni und Edvin Revazov in den von Beatrice Cordua, Persephone Samaropoulo und Max Midinet kreierten Rollen. Hamburgs Corps, das wie ein Schrapnell in tausend Fetzen zerbirst und Tod und Verderben säend über die Bühne streut! Noch ohne jeglichen Nijinsky-Bezug, den Choreograf der Uraufführung von 1913.

Neu war an diesem Abend für mich „Vaslaw“. Neumeiers erste direkte Huldigung an sein Idol, den Tänzer und Choreografen Nijinsky – eine Kreation für die Hamburger Nijinsky-Gala 1979. Ein Pas de dix, zu Klavierstücken von Johann Sebastian Bach, (allzu zurückhaltend) gespielt am Flügel auf der Bühne von Michal Bialk, getanzt von einer handverlesenen Equipe Hamburger Solisten mit Alexandre Riabko in der Titelrolle, die vor dreißig Jahren von Patrick Dupond kreiert wurde (was ist aus ihm geworden, der einmal ein Senkrechtstarter an der Pariser Opéra war?). Hier nun mit zahlreichen choreografischen Zitaten aus dem Repertoire von Diaghilews Superstar, namentlich als Faun in seinen Halbprofil- und Profilhaltungen, mit der Hand am Ohr, wie wenn er der Zukunftsmusik aus dem Kosmos lauschte – ein anderer Apoll (der der reale Nijinsky nun allerdings ganz und gar nicht war). Riabko, schmal und schlank, blendend anzusehen, ein ästhetischer Götterknabe, tanzt ihn wie seine Approbation zum Orden der Terpsichore – so die Huldigung an den Diaghilew der Ballets Russes und an Noverre, den Grand-père des Ballet d‘action zur dreifachen Hommage an das Sternentrio des klassischen Balletts erweiternd.

 

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