Liebe ist stärker als der Tod

„Die Kameliendame“ am Nordharzer Städtebundtheater

Quedlinburg, 21/02/2010

Immer wieder überraschen Jaroslaw Jurasz und die Tänzerinnen und Tänzer der kleinen Ballettkompanie des Nordharzer Städtebundtheaters Halberstadt/Quedlinburg in Sachsen-Anhalt mit ihren Tanztheater-und Ballettkreationen. Mit dem Kammerballett „Hamlet“ setzte der aus Polen stammende Ballettdirektor und Choreograf seinen mit „Othello“ begonnenen Shakespeare-Zyklus fort. In der Spielzeit 2010/2011 werden „Romeo und Julia“ und als Uraufführung „Ein Sommernachtstraum“ folgen. Mit einer zauberhaften Inszenierung des Märchenballetts „Dornröschen“ begeisterte er in unterschiedlichen Fassungen für Kinder und Erwachsene in immer ausverkauften Vorstellungen das Publikum. Nun machte die hoch motivierte Kompanie von nur acht Tänzern aus fünf Nationen erneut tänzerisch Furore mit der zweiten Balletturaufführung in dieser Spielzeit. Gemeinsam mit seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Kordula Kirchmair-Stövesand adaptierte Jaroslaw Jurasz den Roman „Die Kameliendame“ von Alexander Dumas neu für ein abendfüllendes Handlungsballett (Dramaturgie: Aud Merkel).

Dabei gelingt Jaroslaw Jurasz etwas ganz Besonderes, Eigenständiges. Er lässt sich weder von John Neumeiers grandiosem Ballet, das er 1978 mit dem Stuttgarter Ballett kreierte, beeinflussen, noch ist Giuseppe Verdis berühmte Adaption des weltberühmten Romans für die Opernbühne „La Traviata“ Vorbild für sein Ballett. Jaroslaw Jurasz choreografiert und inszeniert seine Ballettfassung ganz dicht am ursprünglichen Roman von Alexander Dumas entlang. Er fokussiert das Geschehen mit den wenigen handelnden Personen der Romanvorlage auf die tragisch endende leidenschaftliche Liebe zwischen Marguerite Gautier und Armand Duval, erzählt die Geschichte aus der Perspektive des jungen Mannes, der an einem Klavier, das der Kameliendame einst gehörte, sitzt und Chopin spielt. Dabei erinnert er sich in Rückblenden an seine große Liebe zu der Kurtisane, an Leidenschaft und Begierde, Verzweiflung, Enttäuschung und an das langsame Sterben dieser einzigartigen Liebe in seinen Armen wie das Verlöschen einer Kerze im Wind. Der aus Weimar stammende Pianist Sebastian Roth ist das Alter Ego des jungen, ungestümen und leidenschaftlichen Armand (Daniel James Butler), der mit seiner Liebe zu Marguerite (Katia Alves de Alencar) die Welt aus den Angeln heben will. Er zeigt, wie seine Liebe an der Verlogenheit der Gesellschaft mit ihrer Doppelmoral zerbricht: „Die Männer lieben und verehren die Kurtisanen, aber verachten ihren Berufsstand“.

Im Wechsel mit Kammermusik und Ausschnitten aus den Klavierkonzerten No.1 und 2 von Frédéric Chopin, die in einer wundervollen Aufnahme mit Annerose Schmidt eingespielt werden, sind es vor allem Chopins Trauermarsch b-moll op.35 No.2, die Nocturnes Es-Dur, op.9 No.2 und f -moll, op.55 No.1,. die Ballade g-moll, das Impromptu As-Dur, op.29, No.1, das Prelude c-moll, op.28 No.20 und die Mazurka a-moll op.68, No.2, die von Sebastian Roth live gespielt auf der Ebene der Musik kongenial das dramatische Geschehen illustrieren, Situationen und Stimmungen, Emotionen und tänzerische Kulminationen musikalisch bebildern und dramatisch akzentuieren. Dabei schafft Jaroslaw Jurasz bei den musikalischen Übergängen den Fluss der Handlung, für seine Tänzer „Ruhepunkte“ für zärtliche Blicke und Gesten, Berührungen, Sich-Nähern und Sich-Entfernen.

Bei aller Dramatik und Leidenschaft, die Jurasz vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Armand Duval und Baron Varville (verkörpert vom Choreografen selbst) am Rande der verhängnisvollen Begegnung der todkranken Marguerite im Casino choreografiert, als der verzweifelte Junge sie für ihre „Liebesdienste“ bezahlt und öffentlich bloßstellt, hat diese getanzte Liebesgeschichte über weite Strecken etwas Leichtes, fast Schwebendes, überirdisch Getragenes. Und hierfür hat Jurasz eine neoklassizistische Bewegungssprache gefunden, die das Klassisch-Kapriziöse mit atemberaubend getanzten Verdrehungen der Körper, Arme und Beine verbindet. Pirouetten, kraftvolle Sprünge, Hebungen, wunderbar gedrehte Fouettés in den Pas de deux zwischen der zauberhaft und technisch makellos tanzenden Katia Alves de Alencar und dem kraftvoll-athletischen und emotional ausdrucksvoll tanzenden Daniel James Butler als Liebespaar werden von der Musik Chopins beflügelt. Dagegen setzt Jurasz, der den gefühlskalten „Zuhälter“ Baron Varville als großartige Charakterstudie tanzt, im Casino-Bild des 2. Aktes eine Musik für ein tänzerisches Furioso als „Tanz ums goldene Kalb“, das hier ein kreisrunder Roulette-Tisch ist.

Eigens für diese Uraufführung hat der griechische Komponist Irineos Triandafillou, mit dem Jurasz bereits bei seinem „Alexis Sorbas“-Ballett zusammengearbeitet hat, unter Verwendung von Motiven Chopins eine Orchestermusik komponiert, die das Feuer der Leidenschaften und der Verzweiflung mit tänzerischer Furore entfacht - bis zum finalen Showdown, bei dem Armand die verzweifelte Marguerite auf dem Roulettetisch mit Geldscheinen demütigend drapiert und den Baron zum Duell herausfordert. Hier zeigt sich die durch Tanzstatisterie verstärkte Kompanie solistisch und in der Gruppe bestens vorbereitet. Hier wird tänzerisch eine auf Amüsement und Genuss ausgerichtete, von Männern dominierte Welt mit drastischen Mitteln demaskiert.

Die Dekadenz wird durch die Schwarz-Rot-Optik des Bühnen- und Kostümbildes von Kordula Kirchmair-Stövesand noch verstärkt. Im Kontrast dazu die in zarten Pastelltönen gehaltenen Räume, in denen die Begegnungen der Liebenden, die unbeschwerte Zeit auf dem Lande und schließlich das langsame Erlöschen der Lebenskräfte der todkranken Kameliendame spielen. Paravents mit in diffuses Wechsellicht getauchten, filigran gemalten Kamelien öffnen den Raum mit einer Schaukel als Metapher für das Leichte, Schwebende, himmelwärts Gerichtete der Liebe dieser beiden jungen Menschen. Am Ende wird Armand mit zärtlichen Gesten voller Verzweiflung und Hingabe auf dieser Schaukel im Blütenregen die Sterbende in seinen Armen in den Tod geleiten.

Neben Anja Herm, Tiana Lara Hogan, Jaume Bonnin und Julian Avril überzeugte ganz besonders Timo-Felix Bartels als Monsieur Duval in einer exzellenten tänzerischen Charakterstudie, die die innere Zerrissenheit des Vaters zwischen Standesdünkel und Vaterliebe durch jede Geste und in jeder Bewegung transparent werden lässt und am Ende seinen Sohn zur Versöhnung mit Marguerite führt. Kimiko Koo tanzt quirlig eine oberflächliche Prudence und Ure Karamidov überzeugt pantomimisch als dienstbare Nanina.

Sichtlich ergriffen reagierte das Publikum, applaudierte heftig und lange mit Ovationen. Ein bewegender Ballettabend, leidenschaftlich und hingebungsvoll getanzt und ein neuerlicher Beweis für die Leistungsfähigkeit eines der kleinsten Vier-Sparten-Theater Deutschlands.

www.harztheater.de

 

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