Kafka zwischen zwei Quartetten

Claudia Senoner zeigt „Suite mit Vogel“ im Schwere Reiter München

München, 30/01/2010

Wenn Kombinatorik und Choreografie sich küssen, kommen Doppelquartette zur Welt. So verhält es sich zumindest in Claudia Senoners neuem Stück „Suite mit Vogel“, einer raffiniert ausgetüftelten Folge von Performancehäppchen. Vier Protagonisten agieren dabei mit ihren Film-Alter-Egos im Rücken. Das Arrangement in zwei Lagen bringt witzige, vor allem aber sehr ästhetische Ereignis-Kombinationen hervor.

Senoner und ihre drei Mitstreiter sitzen wie an Nähtischen auf der Bühne und experimentieren. Sie spielen mit elektronischen Klängen, zupfen an Saiteninstrumenten, erkunden Geräuscherlebnisse aller Art. Oft auch unangenehme. Wenn Eisenketten scheppern, die Performer durcheinander saxofonieren und klimpern, und die Technik das Ganze auf viel zu hohe Lautstärke schraubt, schielt man zwischendurch doch zum Ausgang. Andererseits gibt es auch akustischen Honig: Das feine Schwingen einer Hackbrettsaite, den zarten Lufthauch von Pappfächern gibt es sonst nirgends auf Bestellung.

Die Inszenierung wirkt zunächst wie eine mit Personen gespielte Klangcollage. Doch schon bald gewinnt das Visuelle an Boden. Hinter den vier Klangkünstlern, auf einer Leinwand, sieht man sie nämlich noch einmal, als Akteure eines Stummfilms. Und dort geschehen ganz andere Dinge, mal parallel, mal in Abwechslung zum Bühnengeschehen. So versucht dort etwa eine der Frauen, ein viel zu kleines Klavier zu spielen. Das gibt nicht nur eine hinreißende Minikomödie, sondern auch den Effekt einer stummen Pianomelodie, die der Zuschauer nur im Kopf hört. Vor allem wird auf der Leinwand aber getanzt. Claudia Senoner wirft in flackerndem Schwarzweiß ihre Beine, wedelt die Arme, übt mit einiger Anstrengung eine Vogelflug-Arabesk und fällt dabei auf die Nase (was nur hörbar, nicht sichtbar ist!).

So reihen sich die Kabinettstücke aneinander, Filmquartett und Livequartett spiegeln sich mit immer neuen Spielereien und Handlungskombis aneinander. Meist passt nichts von dem zusammen, was sie tun. Wenn sie fächeln, fächeln sie unterschiedlich schnell, wenn einer jongliert, applaudiert der andere bei den Fehlwürfen, und so weiter. Das reizt zum Lachen, und so liegt über allem eine Stimmung lakonischen Humors. Auch die Ausstattung im Retrostil, mit Frisuren von 1870, goldwarmen Gaslichtlampen und antiken Elektrogeräten, bringt als Ausdruck liebenswerten, unbeholfenen Strebens Leichtigkeit ins Spiel.

Die größte Überraschung war jedoch das Titelthema. Eine Erzählung aus Franz Kafkas sechstem Oktavheft über einen Storch im Wohnzimmer des Erzählers dient dem Treiben der Quartette als roter Faden. Barbara Kysela rezitierte die Textpassagen mit ruhiger Stimme und ließ genug Raum für die Erkenntnis, dass der sonst eher fürs Düstere bekannte Dichter auch Humor hatte. Nach dem Abspann im Stummfilmlook, hatte man schließlich so viele attraktive Augen- und Ohrenhäppchen genossen, dass einem der Makel des Stücks gar nicht mehr auffiel: wie schwach sich der Tanz darin schlug. Klänge und surreale Bilder wiegen in „Suite mit Vogel“ viel stärker, der Köper ist nur eine Unterabteilung von allem.

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