Venezianisches Gemälde

Tero Saarinen tanzt Carlsons „Blue Lady (revisited)“ als Deutschlandpremiere

Ludwigsburg, 21/06/2009

Was gibt’s denn da zu buhen? Von ein paar Längen gegen Ende mal abgesehen ist die „Blue Lady“ von Carolyn Carlson aus dem Jahr 1983 eine Hommage an die Lagunenstadt, poetisch und schön, wie Gemälde von Canaletto oder Tiepolo. Das feinsinnige Tanzsolo zur Musik des damals noch wenig bekannten René Aubry reflektiert seelische, geistige und ästhetische Aspekte des Tanzes. In der Neufassung „revisited“ (2008) mit Tero Saarinen hat es nichts an Charme verloren und erntet bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen - trotz manchen Unverständnisses – viel Beifall.

Das Stück beginnt mit einem filmischen Prolog: ein Schwarz-Weiß-Porträt der Tänzerin, aus extremer Unschärfe kommend, zeigt das schmale Gesicht - je näher, desto deutlicher die tiefen Augenhöhlen und die Maske des Todes. Schließlich zeichnen die Hände minimale Gesten der Trauer. Momentaufnahmen der Proben, teils am Strand, teils im Studio, umreißen die thematische Ausrichtung. In Venedig, der auf Wasser gebauten, vom Verfall bedrohten Stadt, begegnet sich die zur Choreografin gereifte „Blue Lady“ selbst. Zwischen dem Prospekt eines wolkenflockigen Himmels im Hintergrund und einer geöffneten Jalousie im Vordergrund – die superfeinen Linien ziehen sich horizontal über die gesamte Bühnenbreite – gibt es viel Freiraum. Vor und hinter der Jalousie, Subjekt und Objekt der Betrachtung, Außen- und Innenwelt changieren ständig. Stabiles Element ist einzig ein Baumstamm, der je nach Licht auch Totempfahl sein könnte, oder eine der morschen Holzstützen Venedigs.

Doch auch er verschwindet urplötzlich, mal im Dunkel, mal hinter einem eigenen Rollo. Frühling, Sommer, Herbst, die zyklische Zeit findet am Bühnenhimmel Sinnbilder: eine Montgolfiere schwebt, eine Möwe fliegt, Laub fällt. Zum Zeitpunkt der Entstehung von „Blue Lady“ hatte die 40-jährige Carlson die 25-jährige Alwin-Nikolais-Tänzerin, die 1968 aus dem Internationalen Tanzwettbewerb in Paris als beste Tänzerin hervorgeht, hinter sich gelassen. Tanztechnisch musste sie nichts mehr beweisen, konnte frei experimentieren. Statt das geläufige Vokabular zu variieren, suchte sie innovative Impulse in Schwindel erregenden Drehetüden, verstotterten Bewegungslinien, asymmetrischen Balancen. Immer wieder geraten die Bewegungen ins Schaukeln, als tanze sie in einer Gondel, oder sie hüpft, springt und spielt mit Hut und Kostüm unbefangen wie ein Kind. Einflüsse der Performance- und Videokunst sind ebenso spürbar wie wichtige Tanzereignissen der späten 70er Jahre, beispielsweise Reinhild Hoffmanns „Solo mit Sofa“ (1977) oder Kazuo Ohnos „Admiring La Argentina“ (1979).

Saarinen, der selbst beim japanischen Butohmeister Ohno in der Lehre war, gelingt die Verwandlung vom Kind zum Greis zum Kind bestens. Von Statur athletischer als die androgyn schlanke, elegant-biegsame Carlson, belebt er alle emotionalen Farben dieser „Blue Lady“. Hin und wieder zeigen Videoeinspielungen die identische Sequenz der Carlson, (nicht Original und Fälschung, sondern) ein kühler weiblicher Schatten hinter dem vom Leben durchpulsten Mann, dessen leise Ironie dem Stück eine eigene Note, und manchmal einen Hauch von Nijinskys göttlichem Clown geben.

www.schlossfestspiele.de

www.terosaarinen.com

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