Symbiose aus Hören und Sehen

Daniel Goldin studiert „Brahms.Variationen“ neu ein

Münster, 21/09/2009

Wenn ein Choreograf abstrakte Meisterwerke der Musik für seine Bühnenkunst nutzt, erleben die Zuschauer mitunter faszinierende Symbiosen von Ohren- und Augenschmaus. Genau das gelingt Daniel Goldin in seinen „Brahms.Variationen“ von 2005, die er jetzt in Münster neu einstudiert hat. Ausgewählt hat der Argentinier Brahms‛ Opus 23 (Variationen auf ein Thema von Robert Schumann), Ppus 56b (die bekannten Haydn-Variationen in der Klavierfassung zu vier Händen) und Opus 24 (Variationen und Fuge auf ein Thema von Händel). Dass diese Klavierstücke nicht live gespielt werden, hat sicher auch praktische Gründe: einen Orchestergraben hat Münsters „Kleines Haus“ nicht. Die Bühne aber ist mit Wasser überflutet. Die Kosten sind außerdem überschaubar, „leistet“ man sich etwa einen Claudio Arrau und eine Martha Argerich nur „konserviert“.

Das Thema der drei kleinen Musik-Zyklen tanzt jeweils ein Solist. Für die Variationen kommen die anderen Tänzerinnen oder Tänzer hinzu. Im dritten Teil tanzen alle. Zögernd wagen sich die Tänzerinnen anfangs ins Nass. Nur eine spritzt mal mit der Fußspitze ein bisschen. Die Männer waten anschließend kräftig durchs Wasser und treten es wie Fußballer. Zum Schluß strecken sich alle platschend und wohlig im Wasser aus wie Urlauber zum Sonnenbad am Strand. Kleine Bewegungen überwiegen. Minutiöse Finger- und Handbewegungen imitieren perlende Läufe der Musik. Armschwünge von zarter Eleganz deuten ein ausladendes Legato oder einen Melodiebogen an. Energische Akkorde kontern die Tänzer, indem sie energisch durchs Wasser stapfen, sodass Fontänen aus Tropfenbändern im Licht glitzern. Tempi werden aufgenommen, Moll-Variationen geheimnisvoll bei gedämpftem Licht getanzt. Leichtigkeit und Schwere harmonieren mit der Musik, ohne dass der Tanz je zur Illustration verkommt. Auch dank der Licht-, Raum- und Kostümgestaltung von Reinhard Hubert, Matthias Dietrich und Gaby Sogl entsteht ein sinnliches und ästhetisches Erlebnis. Sogl deutet das Thema „Variation“ durch farbliche Varianten der schlicht eleganten Anzüge und Kleider an: kindlich fröhliche weiße, gelbe und orange Sportanzüge zuerst, gefolgt von feuerrot, schließlich lila und weinrote Jacken, Hosen und Glockenröcke.

Dietrichs Raum erinnert an das Foyer eines Schwimmbades. See- und moosgrün sind die Wände getüncht, die Farbtöne in Wellenlinien voneinander getrennt. Sechs Wandpartien öffnen sich wie Drehtüren für Auftritte und Abgänge. Drei Stufen führen hinten mittig durch eine fast quadratische, nach hinten verspiegelte Öffnung in das Bassin. Raffinierte Spiegelungen ergeben sich dadurch und im Wasser immer wieder. Vier Kugellampen hängen von oben – milchige Monde, wenn mal die eine, mal eine andere die Szene beleuchtet. Düster wird‛s bei langsamen oder in Moll komponierten Variationen. Meist aber ist der Raum hell, und die vier Tänzerinnen und Tänzer wirken so viel weniger melancholisch und angstgetrieben als in Goldins anderen Musik-Balletten „Winterreise“ oder „Der Tod und das Mädchen“. Eine eindrucksvolle Bühnenerscheinung ist wieder Ines Petretta, die ihre üppige Mähne gekonnt mittanzen läßt. Tsutomu Ozeki fasziniert immer wieder mit seiner sensiblen Gestik. Die sechs übrigen Ensemblemitglieder sind neu, passen sich aber – da zumeist, wie Goldin, an Folkwang geschult – sehr harmonisch ein.

 

 

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