„Kammertanz“ zu Kammermusik

Daniel Goldins neue Choreografie

Münster, 19/11/2009

Es sind die überraschenden Momente von atemberaubender Schönheit oder frappierender Innovation, die einen „normalen“ Tanzabend plötzlich zu einem Ereignis machen, das lange nachklingen wird. Daniel Goldins neues Programm mit drei Kurzchoreografien auf Kammermusik von Sergej Prokofjew, César Franck und Sergej Rachmaninow bot bei der Uraufführung so einen Moment. Als Ersatz für den verletzten Tsutomu Ozeki sprang die Taiwanesin Yi Steidle-Cheng als Gast ein. Neben Karen Ilaender und Antonio Rusciano, die mit eher eckiger Gestik auf Francks A-Dur Sonate für Violine und Klavier den Alltag eines Ehepaares anzudeuten scheinen, wirkt die zarte Gestalt aus Fernost in schlichtem, aparten, schiefergrauen Seidenanzug wie eine Lichtgestalt aus der anderen Hemisphäre. Die zauberhafte Grazie und Eleganz dieser Tänzerin, die rhythmische Harmonie und Delikatesse auch des kleinsten Details ihrer Bewegungen transportieren Goldins Choreografie zurück in seine Anfangszeit, als er mit seinen anrührend zärtlichen, unverschnörkelten Duetten weltberühmt wurde. Engelgleich ernst breitet Steidle-Cheng die Arme wie Flügel aus. Dann aber kauert sie sich immer wieder zusammen und zupft sich - so scheint's - mit den Fingerspitzen Tränen vom Gesicht, als trauere sie um eine verlorene Welt, eine vergangene Zeit oder einen Menschen. Diese innige Schönheit, Stille und Melancholie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Kunst des Argentiniers, der sich dem deutschen Ausdruckstanz so nah fühlt.

Aber immer seltener gelingen Goldin solche Szenen, immer weniger Tänzer vermögen diese Facette aufzuspüren. Alice Cerrato, Tänzerin der ersten Stunde in Goldins Ensemble, gehört immer wieder dazu – freilich leider diesmal weniger in dem reichlich affektiert pseudo-kindlichen Duett (auf Prokofjews D-dur Sonate für Flöte und Klavier) mit Daniel Condamines, ebenfalls einem Solisten aus Goldins Anfangszeit. Juliette Boinay konnte Goldins berückende, halb kindliche Zartheit unvergleichlich tanzen, Colin Clark seinen markigen Soli eine große Aura verleihen. Ozeki empfand als Protagonist in „Winterreise“ dem Weltschmerz nach und erinnerte zusammen mit der Koreanerin Eun-Sik Park in einem Duett in „Hinter der Nacht“ an Goldins frühe Duette.

Und nun also Yi Steidle-Cheng, bis zu einem gewissen Grad auch im folgenden Stück (auf Rachmaninows g-moll Sonate für Violoncello und Klavier opus 94) ihre Schwester Hsuan Cheng, die nach ihrem Gastauftritt in der vorigen Spielzeit nun fest zu dem zehnköpfigen Ensemble gehört. Auch sie voller Anmut und völlig abgelöst von der realen Welt eines wenig sinnigen Klamotten-Basars in diesem Trio mit Ines Petretta und Matthias Schikora. Sehr zum Genuss dieses „Kammertanz“-Abends tragen die vorzügliche Kammermusik und das raffinierte Ambiente von Matthias Dietrich bei. Die Bühne gestaltet er als eine nach vorn offene Rotunde mit schlanken Säulen, hoch aufragenden roten Blüten dazwischen und einem geschwungenen Podest, auf dem hinter einem Jugendstil-ähnlichen weißen Gitter die Musiker den Tanz superb begleiten. Könnte Goldin die exaltierte, eckige Gestik, das manierierte Rucken und Zucken einzelner Körperteile und die geradezu geschwätzige Vielfalt unmotivierten Zierats in seiner Körpersprache etwas zurücknehmen, würde dieser Abend wohl viel gewinnen.

Kommentare

Noch keine Beiträge