Selbstherrlicher Ballettmeister

Das St. Petersburger Ballett-Theater ist mit einem zweifelhaften „Don Quixote“ auf Tournee

Ludwigsburg, 12/10/2009

Eigentlich widmet sich der russische Choreograf Boris Eifman lieber den psychologischen Stoffen der russischen Literatur wie „Anna Karenina“ oder „Eugen Onegin“. Zum wiederholten Male gastiert sein St. Petersburger Ballett-Theater jetzt auf Einladung der Stuttgarter Kulturgemeinschaft eine Woche lang im Ludwigsburger Forum, dieses Mal aber mit einem Klassiker der Ballettgeschichte, dem guten alten „Don Quixote“. Immerhin verspricht uns der Meister im stark fehlerhaltigen Programmheft ein „völlig neues Ballett“. Eifman versetzt den fahrenden Ritter ins Irrenhaus, wo er dann aber in seiner Vorstellung immer wieder die altbekannten Szenen aus Marius Petipas Ballett sieht, das freche Liebespaar Kitri und Basil und seine turbulente Flucht zu den Zigeunern. Wir bekommen im Grunde das alte Stück serviert, ein bisschen aufgepeppt mit Ideen aus dem Musical „Mann von La Mancha“ und etwas „Carmen“.

Vollkommen verändert hat Eifman dagegen die Musik, indem er Ludwig Minkus‘ sprudelnde, heitere Partitur lediglich als Steinbruch benutzt, einzelne Variationen aus Pas de deux oder Corps-Szenen herausreißt und im Minutentakt zwischen den Akten herumspringt. Wohl sind die alten russischen Ballettpartituren in Nummern geschrieben, aber selbst die Hofkomponisten des Zaren hielten sich an gewisse Strukturen, die Boris Eifman hier mit Füßen tritt. Der ehrwürdige Petipa, dessen überlieferte Schrittfolgen doch einige Male Verwendung finden, wäre angesichts des Ergebnisses wahrscheinlich sogar froh, dass sein Name im Programmheft verschwiegen wird. Die wirre Dramaturgie der Bearbeitung (nicht einmal die Inhaltsangabe im Programm steigt da durch) wirft ständig Fragen auf: Wie schafft es eine Irrenärztin, zwanzig männliche Wahnsinnige allein im Zaum zu halten? Vermutlich mit dem bösen Blick. Warum hat der eitle Geck Gamache hier eine tragende Rolle bekommen? Wahrscheinlich haben wir mit den Irren und ihrem übertriebenen Getue immer noch nicht genug zum Lachen.

Die choreografische Modernisierung beschränkt sich auf ein paar erstaunliche, tendenziell eher flapsige als lyrische Einfälle im ansonsten brav klassischen Vokabular. Selbst die Szenen fürs Corps de ballet sind einfach schlecht choreografiert – warum nicht auch hier Petipa zitieren, der es weit fetziger gemacht hat? Nicht nur wegen der pathetischen Gesten, der übertriebenen Pantomimen ist Eifmans Ästhetik im Grunde altmodischer als jeder originale „Don Quixote“, wie er heutzutage „nach Petipa“ getanzt wird. Wo man in Russland anfängt, mit viel Respekt die Originalversionen der alten Klassiker zu rekonstruieren, da potenziert Boris Eifman die alten Untugenden des selbstherrlichen Ballettmeisters und wirft alles durcheinander, wie es ihm passt. Geradezu lachhaft klingt da sein Anspruch, modernes Tanztheater zu kreieren. Der Begriff mag in Russland eine andere Bedeutung haben als bei uns, aber dieser Abend erweckt einfach nur den dringenden Wunsch nach einem stil- und respektvollen „Don Quixote“. Es muss weder das Bolschoi- noch das Mariinsky-Ballett sein, weder München noch Stuttgart, wo überall bessere Versionen auf dem Programm stehen. Hätte man mal die Karlsruher Kompanie nach Ludwigsburg eingeladen.

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