Schritte im Überfluss der Bewegung

„Poetic Play“, ein Tanzabend mit vier Stücken am Mannheimer Nationaltheater

Mannheim, 19/11/2009

Meer, Wellen und vorbei ziehende Wolken. Eine Aufzählung von Elementen, die aus dem Roman „Die Wellen“ von Virginia Woolf stammen könnte. Sie finden aber in einem anderen Stück Verwendung, das als letztes von vier Werken den Tanzabend im Mannheimer Nationaltheater beschließt. „Exit In“ heißt die neue Choreografie von Dominique Dumais für neun Tänzerinnen und Tänzer. Die Musik stammt von der britischen Band Radiohead. Im „Pyramid Song“ springt der Ich-Erzähler in einen Fluss und sieht sich umgeben von Menschen, die sein Leben in der Vergangenheit prägten. Auf der Bühne ist ein Tänzer gefesselt vom Anblick des Meeres und der Wolken, die vor ihm auf dem Schirm eines Fernsehgeräts in Endlosschleife erscheinen. So kommen in verschiedenen Konstellationen die zweifelnden und anklagenden Songs von Radiohead zur Darstellung. Zuweilen allerdings wirkt durch die bunten Kostüme und die perfekten Beinschwünge der Tänzer das Treiben wie ein amerikanisches High-School-Musical.

Der Geist alter amerikanischer Musicalfilme, aber auch die Schrittkombinationen aus spanischen oder irischen Volkstänzen scheint in „The Fugue“ von Twyla Tharp durch. Ursprünglich war das Werk für drei Tänzerinnen geschaffen, die ihre einzeln, im Duo oder gemeinsam ausgeführten Bewegungsphrasen an 20 Taktschlägen durchexerzieren. In der Einstudierung von Kevin O’Day sind es drei Männer, die in klassisch geschnittenen, beigefarbenen Hosen und engen Hemden den Takt der amerikanischen Künstlerin Tharp neu aufnehmen. Tyrel Larson, Brian McNeal und Luis Eduardo Sayago zeigen ein beeindruckendes Spiel an ständig wiederkehrenden und sich neu formierenden Bewegungssequenzen. Kennzeichnend für das Stück sind die akustisch verstärkten Schritte der Tänzer, die stampfend, trippelnd, gleitend den Bühnenboden mit dem Schuhwerk bearbeiten. Das Regelwerk des Stücks zeigt die Kunst der Bewegung und ihre unerschöpfliche Vielfalt in den feinen Verschiebungen tänzerischer Abläufe.

„Can we start again?“, fragt die Tänzerin Agata Zajac nach der ersten Runde mit ihrem Partner Ching-Yi Ping. Die Tänzerin steckt in einem langärmeligen Turnanzug, der ihre nackten Beine hervorhebt. Ihr Partner ist mit langen Hosen und einem Shirt bekleidet, das seine nackten Arme zeigt. Dieser spannungsreiche Gegensatz sowie das Bühnendunkel und das Licht auf die Tanzenden bestimmen „We will...“ von Kevin O’Day. Sein Stück kreist um das Thema Partnerschaft, um das Spiel von Geben und Nehmen, um Annäherung und Ablehnung sowie um die Leichtigkeit des Seins und die Schwere von zugefügten Verletzungen. Vielleicht ist es ein seltsamer Blick auf das tanzende Paar, aber ihr Kostüm und das, was es frei gibt, scheint die Dynamik vorzugeben. Arme und Beine, verschlungen, hebend, an, auf oder gegen den Anderen machen das Verhältnis des Duos transparent. In der einfachen Frage: „Können wir noch mal beginnen?“, liegt schließlich die Hoffnung, es gäbe einen Neuanfang ohne die Last und Qual alter Konflikte.

„Hier stehn vergoldete Stühle in den leeren, den erwartungsvollen Räumen...“, heißt es bei Virginia Woolf in ihrem Roman „Die Wellen“. Dominique Dumais nennt ihr Werk schlicht „Woolf“ und zeigt jene Stühle in Form von großen Mobiles, die von der Bühnendecke hängen. Die Wellen sind aus neutralem Blech und bilden wie große Rutschbahnen den Bühnenhintergrund. Auf der Musik von Jacob Ter Veldhuis, in die Woolfs eigene Stimme eingewoben ist, fließt ein Ensemble aus sechs Tänzern dahin. Ihre Bewegungen bilden den wellenförmigen Fluss der Zeit nach, versuchen die assoziative Leichtigkeit des Romans einzufangen. Sie finden aber außerhalb diesen Fließens kaum weitere tänzerische Bilder, obwohl der Roman nur so überquillt von überraschenden Eindrücken.

Weitere Aufführungen: 21. November, 9., 19. und 29. Dezember 2009, 19:30 Uhr.
 

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