Petipa aus der Sprüngli-Confiserie

Zum dritten Mal "Raymonda" an der Limmat

oe
Zürich, 01/11/2009

Als Raymonda I. 34-jährig 1972 ihren Zürcher Thron bestieg, hieß sie mit bürgerlichem Namen Marcia Haydée und stammte aus dem Hause der brasilianisch-schwäbischen Ballett-Dynastie. Und derjenige, der die Hochzeit aus- und eingerichtet hatte, war ein Tataren-Prinz aus dem fernen Sibirien, Rudolf Hametowitsch, ebenfalls 34 Jahre alt, der zum christlichen Glauben übergetreten war, sich Nurejew nannte, und an diesem Abend Jean de Brienne hieß. 1993 folgte dann Raymonda II., für die der damalige Zürcher Ballett-Designer Bernd Roger Bienert beim italienischen Stararchitekten Aldo Rossi ein eigenes Haus bauen ließ – allein glücklich wurde sie nicht daran, und so erinnert sich heute niemand mehr daran, wie sie wirklich hieß (eher schon an den Namen des damaligen Zürcher Kapellmeisters Manfred Honeck, der heute als Generalmusikdirektor am Vorabend seiner Stuttgarter „Rosenkavalier“-Premiere steht).

Und nun also Raymonda III., für die sich der heutige Zürcher Ballettchef Heinz Spoerli den aus der K.u.k.-Monarchie stammenden Sándor Némethy als Petipa-Spezi zur choreografischen Verstärkung geholt hat – und zusammen haben sie den St. Petersburger Petipa-Glasunow-Klassiker von 1898 nach feinsten Zürcher Sprüngli-Rezepten aufgebrezelt und mit vielen original russischen Zutaten versehen (Dirigent: Michail Jurowski aus Moskau, Raymonda: Aliya Tanykpayeva aus Kasachstan, Jean de Brienne: Stanislav Jermakov aus Tallinn, Abderachman: Vahe Martirosyan aus der berühmten armenischen Hochschule von Eriwan) zu einer hochprozentigen tänzerischen Qualitätsschokolade konfi-choreografiert. Und leider keinen Schweizer Top-Designer hinzugezogen, sondern die italienische Allerweltsausstatterin Luisa Spinatelli, die dem Ganzen eine Prise Motta-Konfektion beigemischt hat, so dass die choreografische Edelpraline einen leichten Beigeschmack von Motta-Panettone hat: die provençalischen Troubadoure sehen aus wie die Kadetten aus der napoleonischen Ecole Militaire, und die ungarischen Hochzeitsgäste wie von der Stange der Zürcher H & M Filiale angezogen.

Doch das beeinträchtigt den Geschmack der neuesten Zürcher „Raymonda“-Kreation kaum, die man sich auf der Zunge, im Ohr und im Auge zergehen lässt, denn Spoerli/Némethy haben die unselige librettistische Fantasterei der Lydia Paschkowa so weit wie möglich dramaturgisch operiert – sie zu einem hundertprozentigen Meisterwerk aufzuwerten, ist unmöglich. Und so geistert sie denn, musikalisch beseelt und tänzerisch bestens herausgeputzt unter der Schutzherrschaft der Weißen Dame, die wie eine Madonna vom Züricher Dolder auf den Cour d‘amour drunten an der Seepromenade herabsieht und als dramaturgische Strippenzieherin eingreift, wenn's brenzlig wird. Aber das wird's nie ernstlich, dank der beglückenden musikalischen Qualität und dem handwerklichen Knowhow der Herren Spoerli und Némethy. Und so ereignet sich denn auf der Bühne des Opernhauses ein prächtiges tänzerisches Spektakel, das einmal mehr den exzeptionellen Standard des Zürcher Balletts bestätigt, das heute zur ersten Liga der deutschbeinigen Kompanien gehört. Eben: eine tänzerische Praline der edelsten Zutaten, geformt von choreografischer Meisterhand.

Kommentare

Noch keine Beiträge