Liebe als schmerzvolle Erinnerung

Gonzalo Galgueras „Manon Lescaut“

Magdeburg, 23/07/2009

Es ist nicht die Musik aus Jules Massenets Oper „Manon“, zu der man in einer berührenden Ballettpantomime den Anfang einer der ergreifendsten Liebesgeschichten der Weltliteratur sieht. Mit Tänzern aus drei Generationen gelingt Gonzalo Galguera, dem kubanischen Choreografen und erfolgreichen Direktor des Magdeburger Balletts, mit seiner eigenen Fassung des Romans „Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon Lescaut“ ein zutiefst berührender Ballettabend vom Scheitern einer großen Liebe und dem Schmerz der Erinnerung.

Die Magdeburgische Philharmonie unter der musikalischen Leitung des ambitionierten Dirigenten Alexander Steinitz spielt mit französischer Verve eine von Leighton Lucas arrangierte und orchestrierte Musik aus Opern, Oratorien, Liedern und Orchesterstücken von Jules Massenet, die kein einziges Zitat aus seiner berühmten Oper „Manon“ (oder auch Puccinis „Manon Lescaut) verwendet. Und doch scheint, wie schon vor 35 Jahren bei der Uraufführung von Kenneth MacMillans „Manon“ in Covent Garden, gerade diese Musik mit ihren lyrischen, sphärenhaften Klängen und der grellen, akzentuierten, von den Blechbläsern dominierten Musik in den Vergnügungssalons von Paris als besonders geeignet für große tänzerische Tableaus und ganz intime Pas de deux voll Innigkeit und Emotionen.

Gonzalo Galguera erzählt die Geschichte aus der Sicht des als alt gewordenen, einsamen, in ärmlichen Verhältnissen lebenden Des Grieux. In einem „Traumspiel“ erleben er und sein alter Freund Tiberge Stationen der Liebe zwischen Manon und dem jungen Chevalier. Galguera gelingt es in faszinierender Art und Weise, die Handlungsebenen miteinander zu verbinden, das Reale mit den Fantasien und der Erinnerung zu verschmelzen. Die edle Ausstattung im Stil der 30er Jahre (Jérôme Kaplan) unterstützt ihn dabei kongenial. Der Choreograf führt in seiner Inszenierung drei Generationen von Tänzerinnen und Tänzer zusammen. Den altgewordenen Des Grieux tanzt der fast 75jährige Siegfried Prölß, einer der letzten noch aktiv tanzenden ehemaligen Schüler von Gret Palucca. Bekannt wurde der Tänzer in jüngster Zeit durch die junge Choreografin Heike Hennig und ihr ungewöhnliches Projekt „Zeit - tanzen seit 1927“ in Leipzig, in dem sie die in den 60er und 70er Jahren an der Leipziger Oper berühmten Tänzer Ursula Cain, Christa Franze (Jahrgang 1927), Horst Dittmann (geboren 1943) und Siegfried Prölß noch einmal in einer einzigartigen Tanzperformance auf die Bühne zurückholte. In „Manon Lescaut“ gelingt Prölß vor allem pantomimisch, durch jede der bis ins kleinste Detail durchdachten Bewegungen, auf berührende Weise vom Schicksal eines Mannes zu erzählen, der durch die Verkettung unglücklicher Umstände, durch Verführung und Intrige die Liebe seines Lebens verliert. Gonzalo Galguera führt den alten Des Grieux mit dem ungestümen, kraftvoll und voller Leidenschaft tanzenden jungen Des Grieux des Kirill Sofronov und der von ihrem Bruder manipulierten und für seine Zwecke missbrauchten Manon zusammen.

Die aus Moskau stammende, technisch brillant tanzende Anastasia Gavrilenkova beeindruckt mit verführerischer Eleganz beeindruckt vor allem in ihrem tänzerischen Spagat zwischen leidenschaftlicher Hingabe an Des Grieux und einer maskenhaften, fast teilnahmslosen Vermarktung als Lustobjekt einer sich im Rausch des Glücksspiels amüsierenden Gesellschaft. Mit bestechender Präzision und Ausdruckskraft tanzt Michael Ihnow den alten und berechnenden GM, der Manon aushält und in die Katastrophe zieht. Der Absolvent der Palucca-Schule Dresden tanzte viele Jahre als Solist im Ballett der Komischen Oper Berlin bei Tom Schilling und wurde am Anhaltischen Theater Dessau von Galguera mit großen Charakterrollen besetzt; 2006 war er „Artist in Residence“ am Bauhaus Dessau und machte mit seiner Tanzperformance „In Out City“ Furore. Gonzalo Galguera hat für die beiden Liebenden wunderschöne Pas de deux im neoklassizistischen Stil choreografiert, dazu atemberaubend getanzte Pas de trois zwischen Manons Bruder Lescaut (technisch ungemein effektvoll: Andreas Loos), Anastasia Gavrilenkova und Michael Ihnow. Verquerungen und Verschraubungen der Körper, gewagte Hebungen und Würfe, weite und hohe Sprünge, makellose Bein- und Armhaltung – die Geschichte bis zum bitteren Tod, der nicht wie im Roman in den Sümpfen von Louisiana, sondern in einem Nirgendwo zwischen Himmel und Erde als Miteinander des alten Des Grieux und der beiden Liebenden spielt, wird in kongenialer Einheit von Musik und Tanz erzählt. Mit der Erinnerung an die tote Manon in den Armen des verzweifelten jungen Chevaliers erlebt Siegfried Prölß als alter Des Grieux noch einmal den ganzen Schmerz einer einmaligen Liebe - und sein eigenes, mehr als 50-jähriges Tänzerleben.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern