Launige Egotrips

„Leben aus dem Koffer“ von Nachwuchs-Choreografen bei „Tanz! Heilbronn“

Heilbronn, 04/06/2009

Für Heilbronn, eine Stadt mit über 130 Nationalitäten (Wer hätte das gedacht! Und warum erfährt man das erst bei einem Tanzfestival?), ist die Wahrung der kulturellen Eigenheit der Menschen bei gleichzeitiger Integration ein großes Thema. So steht’s im Klappentext des viertägigen Festivals „Tanz! Heilbronn“. Eine prima Idee der Kuratorin Karin Kirchhoff, sich umzuschauen, was der choreografische Nachwuchs zum Thema „Kulturelle Herkunft“ so zu sagen beziehungsweise zu tanzen hat. „Leben aus dem Koffer“ titelt das Programm der vier Miniaturen in vier Handschriften.

Schilfgrün die Auslegware, Flamingorosa das Sweatshirt, Kanariengelb die Treter – der Leipziger Quereinsteiger (und bis zu seinem Preis beim Wettbewerb „Das beste Tanzsolo“ Autodidakt) Hermann Heisig tritt mit Ghettoblaster auf, aus dem ununterbrochen wildes Vogelgeträller quillt. Selbst ein schräger Vogel, der für einen „normalen“ Tänzer zu lang und zu schlaksig ist, zelebriert er „In this beautif.Countryside“ mit ernster Miene und Knieschonern, in allerlei kopflastigen Verrenkungen, Hüpfern und Bodenexerzitien das Fremdsein im eigenen Körper. Selbstironie mit hinterhältigem Kommentar zu Dekonstruktivismus und Konzeptkunst.

Der Gegentyp ist Ricardo de Paula. Der in Berlin lebende Brasilianer, ein Vollprofi, kann von Ballett über Jazz, Funk und Capoeira bis Breakdance alle Techniken abrufen. Das Solo „Register“ ist ein Selbstfindungstrip, der das Verhältnis des Farbigen in einer weißen Gesellschaft reflektiert, diskriminierende Klischees entlarvt und deren stereotype Fortschreibung in den Medien hinterfragt. Während als Dialogpartner im Hintergrund eine gut gemachte, teils popbunte Videocollage (Lars Mylius) läuft, gibt de Paula, wie aus Actionfilm oder Musikvideo entsprungen, den Hip-Hop-Gangster, den sexy Sambatänzer oder karikiert einen knallharten Drogendealer. Am Ende robbt der Entertainer minutenlang hinter einem Mikrofon her, das er - wie der Esel hinter der Karotte - nie erreicht. Eine deutliche Metapher.

Kadir Memis und Andrea Böge sind starke Tänzerpersönlichkeiten. Beider Ausgangsmaterial ist der Straßentanz, den Böge mit Flamenco und (der in der Türkei geborene) Memis virtuos mit Zeybek kombiniert. Inspiriert von Paulo Coelhos Roman „Der Alchimist“ haben sie ihr Duo „Maktub“ genannt, was so viel wie „Worte trennen Menschen“ bedeutet. Wenngleich die Frage nach kultureller Herkunft hier tänzerisch Kontur bekommt, ergibt das Konglomerat - aus zerknitterten Papierbögen an einer Wäscheleine, dem Anspruch, eine Mann-Frau-Geschichte zu erzählen sowie einer Videoprojektion, in der das Malen abstrakter Schriftzeichen rückwärts abläuft, und wirkt, als lösche der Maler die Schriftzeichen - kein schlüssiges Ganzes.

„Meinland“, eine Zeitlupenstudie von Philip Bergmann, ausgeführt von Lotte Rudhart und Nefeli Skarmea, fällt thematisch aus dem Rahmen. Am eindrücklichsten ist der Sound, erzeugt durch eine Installation (Ladislav Zajak) aus Mikrofonen, die das plötzliche Erkalten von glühend heißer Keramikglasur akustisch überträgt. Was die japanische Raku-Technik mit der kulturellen Herkunft der Ausführenden zu tun hat, formuliert die Performance nicht einmal als Frage.

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