Biennale Tanzausbildung 2024: Ballett-Akademie der HMTM München mit „Mirror“ von David Russo

Gipfeltreffen der Extraklasse

Ideals & Role Models – Best Practice in Dance, Biennale Tanzausbildung in München 2024

Tanzausbildung professionell und spitzenmäßig: Eine Woche lang trafen sich beim „Bundeswettbewerb 9. Biennale Tanzausbildung 2024“ Studierende von 13 Hochschulen aus vier Kontinenten zum professionellen Austausch

München, 01/03/2024

Vom 19. bis 25. Februar öffnete die Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München als Ausrichterin des „Bundeswettbewerbs 9. Biennale Tanzausbildung 2024“ ihre Tore für Institutionen, die eine professionelle Tanzausbildung mit Abschluss Bachelor anbieten. Zu Gast bei diesem Gipfel- oder Spitzentreffen jener Tanzausbildung waren Studierende von 13 Hochschulen aus vier Kontinenten. 

Tänzer*innen, die im letzten Ausbildungsjahr stehen, bekamen unter dem Titel „Reflection in Motion“ an zwei Abenden in der Muffathalle Gelegenheit, ihre Abschlussarbeiten zu präsentieren. Das breitgefächerte thematische, aber auch tänzerische Spektrum kann sich sehen lassen – mit Fragen, die den Absolvent*innen unter den Nägeln brennen: Kindheitserinnerungen, Märchen, die Themen Angst, Wettbewerb, Gewalt, Melancholie, Trauer, menschliche Beziehungen sowie Verantwortung für die Natur. So vielfältig, wie das Universum sich uns öffnet, so reich und differenziert sind die Reflexionen, die sich geradezu aufdrängen. Diese Innenansichten ausdrucksvoll mit einer differenzierten Bewegungssprache auf die Bühne zu bringen, ist eine inspirierende, lohnende, aber auch herausfordernde Aufgabe, die die jungen angehenden Tänzer*innen hier meistern, an der sie auch wachsen und reifen. Das technische Rüstzeug dazu haben sie. 

Generation Tiktok sucht Role Models

Die Möglichkeit, nicht nur Ausführende zu sein, sondern auch am Entstehungsprozess der Choreografie beteiligt zu sein, steht ganz klar im Zentrum der neueren, pädagogischen Bestrebungen, den jungen angehenden Tänzer oder Tänzerin als eigenständige Persönlichkeit zu betrachten und ihn oder sie zu stärken – medizinisch, psychologisch und auch juristisch. Es leuchtet ein, dass diese Biennale das Leitmotiv „Ideals and Role Models – Best Practice“, also Ideale, Rollenbilder und Vorbilder gewählt hat. Angehende Tänzer*innen beschäftigt das schon sehr früh und dann auch ihr Leben lang. 

Der eigene Spiegel wird den Tänzer*innen vorgehalten. Sie sehen sich permanent im Wettbewerb – vor und hinter der Bühne und mehr denn je im weltweiten Web. Die Vorzüge aber auch die Gefahren des Internets gerade diesbezüglich aufzuzeigen, betrachten die Ausbildungsinstitutionen als eine ihrer grundlegenden Aufgabe. Sie wollen die Student*innen der Tiktok-Generation, wie sie auch bezeichnet wird, sensibilisieren, also im besonnenen Umgang mit dem Internet schulen. Nach welchen Idealen die jungen Tänzer*innen streben, zeigt nicht nur die Aufführungsreihe von „Reflection in Motion“: „Embracing Authenticity“ und „Celebrating Artistic Diversitiy“. 

Und danach? Über die Tanzkarriere hinaus denken.

Auch das von Anna Beke und David Russo konzipierte Symposium befasste sich mit dieser Frage nach Idealen und Idolen, so etwa zum Thema Alter und Tanz im Panel „Dance on. Making Time Matter“. Zu Wort kommen Persönlichkeiten aus Tanz, Tanzwissenschaft, freischaffende Künstler und Choregraf*innen, die gerade jungen Tänzer*innen Mut machen, dass nach der endlichen, aktiven Bühnentanzkarriere noch viele oder andere Wege offenstehen. Auch Tanzstudent*innen diskutieren erstaunlich selbstbewusst und eloquent in diesem Rahmen mit. Schließlich stehen sie mit ihren Perspektiven im Mittelpunkt dieser Tagung. Mutmachend ist es, dass ab einem gewissen Alter die technische Perfektion nicht mehr so sehr im Vordergrund steht. Vielmehr ist es die künstlerische Ausstrahlung, die Choreograf*innen inspirieren kann.

Inwieweit sich die Ideale mit zunehmendem Alter verändern, die künstlerische Authentizität, die Individualität und des im Fluss-Seins, vielleicht auch Wandlungsfähigkeit an Bedeutung gewinnt, ist Gegenstand des Panels „Transitions und Constants. Artistic Ideals Yesterday. Today. Tomorrow“. Welchen Einfluss diese bereichernden Facetten und Impulse auf die Tanzkultur oder allgemein auf die Kultur haben und damit auch die Gesellschaft prägen können oder in Wechselwirkung stehen, waren Diskussionspunkte dieses Forums. Der sich anschließende und lebhafte Dialog im Plenum, zeigt wie aktuell, wie bewegend dieses Thema ist. 

Idole und Ideale auf dem Podium

Mit der Idee, die Zuschauer zum lustigen Quizspielen unter der Überschrift „How well do you know your idols?“ zu unterhalten, sorgen die Tanzstudent*innen der Münchner Ballettakademie für Schmunzeln. Es geht um die Frage nach den persönlichen Idolen, vor allem darum, wie gut man diese Idole kennt. Titel: Selbstverständlich gab es einen Preis zu gewinnen – das selbst ausgedachte Quiz, einem Auditorium zu präsentieren, ist ein Präsentationsformat, das für Tanzstudent*innen bisher noch nicht üblich war, aber sicherlich noch stärker in der professionellen Tanzausbildung berücksichtigt werden sollte.

Für das Thema „Künstlerische Authentizität, Individualität und Fluidität als anzustrebende ‚neue‘ Ideale im Tanz“ war mit Lucia Lacarra, Friedemann Vogel und Alexei Ratmansky ein starbesetztes Podium ein Start, das noch in den folgenden Tagen zu intensiven Auseinandersetzungen unter den ausbildungstechnisch sehr diversen Studierenden führt. 

Tagsüber dürfen die Studierenden sowohl der klassischen Ballettausbildungen als auch der zeitgenössisch ausgerichteten Akademien gemeinsam bei Bewegungs- und Tanzpädagog*innen von Weltklasse trainieren. Mutmachend, in gewisser Weise ‚down to earth‘, ist es auch, dass die zum Beispiel Feldenkrais-Technik, die die Wahrnehmung von Bewegung schult, unabhängig von Alter und Ausbildung ist, wie die Dozentin Ami Shulman in ihrem sehr gut besuchten Workshop deutlich macht.

Tanzmedizin als wichtiges Erkenntnisfeld

Eine passende Umgebung für Tanzstudierende zu bieten, lautet das Credo, dem sich gerade professionelle Ausbildungsinstitute verpflichtet fühlen, so auch die Münchner Ballettakademie unter der Leitung von Jan Broeckx, der diese Woche ermöglichte. Die Akademie hat mit einem Konsortium aus Spezialisten der Medizin und angrenzenden Fachbereichen gerade im tanzmedizinischen Bereich ein Konzept entwickelt, das immer wieder auf den Prüfstand gestellt und neuen Erkenntnissen zufolge oder aktuellen Entwicklungen angepasst wird. Es geht um die Bereiche Mindeststandards für die Gewichtsentwicklung (BMI), das psychische Wohlergehen, der Bereich Tanzmedizin (Anatomie, Erkennung körperlicher Stärken und Schwächen), der ebenfalls im Curriculum verankert ist. 

Grundlegend ist das Fach Ernährungslehre. Damit der Spaß nicht zu kurz kommt, gibt es für die Studierenden auch ein gemeinsames Kochevent. Das Gesundheitsteam der Münchner Ballettakademie mit Dr. Dora Meyer als Sporternährungsberaterin, die Psychologin Anna J. Esser, Alumna der Ballettakademie und Marc Geifes (ausgebildet an der Ballettakademie München, ehemaliger Tänzer am Bayerischen Staatsballett und Physiotherapeut) setzen auf Verletzungsprävention. Wenn Marc Geifes sich als ehemaliger Thisbe-Tänzer in John Neumeiers „Ein Sommernachtstraum“ vorstellt, macht dies nicht nur deutlich, wovon tanztechnisch typischerweise ein Spitzentänzer spricht. Es zeigt auch Geifes Humor, die psychische Gesundheit eines Tänzers oder Tänzerin, die neben einer rein technischen-künstlerischen Ausbildung für eine professionelle Tanzlaufbahn unverzichtbar ist. 

Für die Entfaltung einer Tanzpersönlichkeit, die vielleicht auch zu einem Ideal heranreift oder in einem Idol gipfelt, will schließlich auch psychische Stärke gelernt sein, womit sich der Themenkreis dieser überaus anregenden, wertvollen und konzeptionell durchdachten diesjährigen Tanzbiennale wieder schließt. Fortsetzung folgt: Auf nach Berlin – in zwei Jahren.

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