Mit Bach zurück in die Gegenwart

Jubiläums-Spielzeit beim Bayerischen Staatsballett

München, 19/12/2009

Das Bayerische Staatsballett widmet seine Jubiläums-Spielzeit 2009/2010 der Moderne. Aktuell auf dem Premierenplan: Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“. Isabel Winklbauer sprach mit Vize-Ballettdirektorin Bettina Wagner-Bergelt.

Redaktion: Frau Wagner-Bergelt, Ist es nicht riskant, im klassikverliebten München eine Spielzeit nur der Moderne zu widmen?

Bettina Wagner-Bergelt: Ja, das ist es. Moderne ist immer riskant. Ballett und Tanz kreieren ja ständig Neues – anders als Oper und Schauspiel. Wo „Cosi fan tutte“ drauf steht, ist selbst im Regietheater Mozart drin. Im Tanz müssen sich die Zuschauer auf unbekanntes Terrain begeben, auf Titel wie „Limb's Theorem“ neugierig sein, auf „Formen von Stille und Leere“…Das ist schwieriger und gleichzeitig aufregender. Deshalb haben wir einerseits Klassiker wie „Onegin“ oder „Raymonda“ im Spielplan, aber bei allen wirtschaftlichen Überlegungen muss in einer großen subventionierten Kompanie wie unserer vor allem künstlerische Auseinandersetzung ermöglicht werden.

Redaktion: Die Premiere am 23. Dezember, Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“, bringt Musik von Bach und ist eigentlich ‚nur’ neoklassisch. Ein Zugeständnis?

Bettina Wagner-Bergelt: Nein, es ist eben nicht neoklassisch. Es ist eine spezielle Ausprägung des Modern Dance, aus der Kylián-Tradition des NDT gewachsen, aber in der von dem Spanier Nacho Duato geprägten leidenschaftlichen, unglaublich musikalischen und dynamischen Färbung, die man nur von ihm kennt und die es bisher hier nicht gab. Wir haben mit diesem Stück bewusst einen sinnlichen Abendfüller gewählt, den auch konservativere Zuschauer nicht fürchten müssen. Seine 23 Szenen sind von Bach und seinem Leben inspiriert, erzählen in vielen kleinen Sequenzen eine große, emotionsgeladene Geschichte. Ich habe das Stück in Weimar, Berlin und Paris gesehen, Ivan Liska auch noch in Madrid: Die Zuschauer waren hingerissen, weil Duato so wirkungsvoll mit Musik, Bewegung und Raum umgeht, dass einem der Atem stockt.

Redaktion: Auch Forsythes „Artifact“ wird zu Bach getanzt. Öffnet klassische Musik die Zuschauerherzen für den zeitgenössischen Tanz?

Bettina Wagner-Bergelt: Das weiß ich nicht. Ja, vielleicht ist die Moderne so leichter zugänglich. Eigentlich wollten wir die Partitur für „Vielfältigkeit…“ auch gern live spielen. Allerdings hat Nacho Duato so viele verschiedene und spezielle Interpretationen von Bach-Stücken ausgewählt, dass das nicht machbar war, alleine schon wegen der unzähligen Solisten. Aber auch, wenn die Musik vom Band kommt, tut sie ihre Wirkung. Sie ist wunderbar geeignet zum Tanzen, voller Leben und auch Melancholie. Und obgleich der zweite Teil des Stücks schwerer ist, der Tod eine wesentliche Rolle spielt, entlässt die Schönheit dieses Balletts einen versöhnt in den Abend. Bei „Artifact“ ist das anders, da wird Bachs Musik verfremdet. Also, beispielsweise durch einen fallenden Vorhang durchschnitten oder durch Geräuschkulissen zerstört.

Redaktion: „Vielfältigkeit…“ beschäftigt sich mit den klassischen Themen Kunst, Leben und Tod. Was ist das Thema von „Artifact“, der Premiere im nächsten April?

Bettina Wagner-Bergelt: Forsythe hat „Artifact“ 1984 geschaffen. Es ist ein Stück über Ballett. Es analysiert Struktur und Funktionsweise des Balletts, während es die ganze Zeit so tut, als ob es ein gewöhnliches Handlungsballett sei. Es spielt viel mit den Sehgewohnheiten des Publikums, der Realität und der Wahrnehmung und ist dabei sehr, sehr tänzerisch. Ganz anders als das aktuelle „Yes we can’t“. Es gibt diese beiden berühmten Pas de deux im zweiten Teil, virtuose Passagen auf Spitze, und die Gruppenszenen sind in ihren verblüffenden Mustern sehr von Balanchine inspiriert.

Redaktion: Hat Forsythe, wie bei „Yes we can’t“ letzten September, auch an „Artifact“ etwas geändert?

Bettina Wagner-Bergelt: Er hat bei jeder Wiederaufnahme mit dem Ballett Frankfurt daran weiter gearbeitet, wie es seine Art ist. Wir werden aber auch drei Originalbesetzungen in unsere Produktion integrieren, die das Stück seit 1984 begleiten: Die Pianistin Margot Kasimirska übernimmt die Klavierpartien, und Dana Caspersen und Nicholas Champion spielen den Mann mit dem Megafon und die Dame im Barockkostüm. Diese beiden Rollen reflektieren das Geschehen und haben verwirrende, komplizierte Texte, so dass bis heute nur die Erstbesetzung diese Rollen verkörpert – auch in Antwerpen und Zürich.

Redaktion: Im April gastiert auch das Tanztheater Wuppertal mit „Masurca Fogo“. Wird es ohne Pina Bausch eine andere Vorstellung?

Bettina Wagner-Bergelt: Als sie im Juni starb, wussten wir erst einmal nicht, ob das Gastspiel überhaupt stattfinden kann. Zum Glück ist Cornelia Albrecht, die wir ja gut aus München kennen – etwa als Kuratorin des DANCE-Festivals – seit zwei Jahren Geschäftsführerin am Tanztheater Wuppertal. So klappte die Zusammenarbeit wie geplant. Wir freuen uns auch, dass Pina Bausch „Masurca Fogo“ für München ausgesucht hat, ein lebensfrohes Stück, das etwas von ihrer Offenheit dem Leben gegenüber widerspiegelt.

Redaktion: Ivan Liska und Sie sind im Dezember 2008 wegen des Gastspiels zu ihr nach Wuppertal gefahren. Wie haben Sie sie dort erlebt?

Bettina Wagner-Bergelt: Wir kennen sie ja schon lange. Sie war immer liebenswürdig, wenn Ivan Liska und ich kamen. Sie war keine hermetisch verschlossene Person. Sie besaß Humor und Herzlichkeit.

Redaktion: Warum gastierte sie in ihrem Leben so selten in München?

Bettina Wagner-Bergelt: Es fehlte wie immer in München an Spielorten mit dem entsprechenden Budget. Zuletzt war sie vor über zehn Jahren hier. Im Jubiläumsjahr wollten wir sie aber unbedingt präsentieren, weil sie schließlich Tanzgeschichte geschrieben hat, in gewisser Weise das Gegenstück zu Forsythe. Außer dem Gastspiel im April gibt es übrigens im Juni ein Stück von Jerôme Bel, das Pina Bauschs Solist Lutz Förster gewidmet ist. Es spiegelt indirekt 30 Jahre Pina-Bausch-Geschichte und ist in der Muffathalle zu sehen. Darauf freue ich mich auch.

Redaktion: Im Juni kommt dann die Wiederaufnahme von Mats Eks moderner „Giselle“ im Prinzregententheater. Sie wurde zuletzt in den 90ern aufgeführt. Warum mussten die Zuschauer so lange auf eine Neuauflage warten?

Bettina Wagner-Bergelt: Viele Jahre wollte Ek seine „Giselle“ nicht mehr machen. Manchmal können sich Künstler eben mit einem älteren Stück nicht mehr identifizieren. Aber wir haben lange genug gewartet und siehe da, jetzt hat er einen neuen Zugang gefunden, auch einen anderen Typus von Darstellerin gewählt.

Redaktion: Das Stück steht und fällt mit der Titelpartie, die damals sehr erfolgreich von Beate Vollack getanzt wurde. Wer ist die neue Giselle?

Bettina Wagner-Bergelt: Über die Besetzung darf ich noch nichts verraten, aber sie wird aufregend. Wir überlegen auch, ob wir in der nächsten Spielzeit als Gegenstück wieder die klassische „Giselle“ parallel tanzen. Mit etwas Glück gibt es 2010 also vielleicht gleich mehrere, exzellente Giselles.

Redaktion: Bleibt noch Terence Kohlers Uraufführung „Série Noire“ zu Musik von Philipp Glass im Juni. Wie läuft seine Arbeit als Choreographer in residence denn so?

Bettina Wagner-Bergelt: Er schätzt es sehr, mit den Staatsballett-Tänzern über längere Zeit regelmäßig zu arbeiten, den Austausch mit uns zu haben, nicht nur die üblichen zwei, drei Monate arbeiten zu können. Das Ergebnis ist noch nicht abzusehen. Doch man darf gespannt sein, wie weit er die Neoklassik diesmal aufbricht und noch mutiger wird. Dazu ist ja diese Arbeitsform gedacht.

Redaktion: Ivan Liskas Vertrag endet 2011, Terence Kohler ist der erste Choreographer in residence, den das Staatsballett verpflichtet – bahnen sich da Veränderungen an?

Bettina Wagner-Bergelt: Zunächst mal binden wir Terence Kohler an München, denn uns liegt an einer kontinuierlichen Begegnung des Publikums mit den Choreographen. Gewiss will Kohler eines Tages auch ein eigenes Ensemble haben. Aber eine konkrete Veränderung ist im Moment kein Thema. Man denke an Uwe Scholz – dass er so jung Ballettdirektor wurde, setzte ihn doch sehr unter Druck. Außerdem hat München traditionell einen Ballettdirektor, der nicht choreografiert. Von dieser Tradition abzugehen, wäre eine folgenschwere Entscheidung. Wir haben 70 Vorstellungen im Jahr. Trügen die alle dieselbe Handschrift, würden sie das Publikum nicht halten.

Redaktion: Was erwartet die Münchner also in der Spielzeit 2010/2011?

Bettina Wagner-Bergelt: Eine große musikalische Überraschung und ein aufregendes neues Programm.

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