Entdecke dich selbst

Neues auf dem Dresdner Tanzplan

Dresden, 24/06/2009

Unterschiedlicher könnten sie kaum sein, die beiden neuen Arbeiten, die Tanzplan Dresden in der kleinen szene, der Studiobühne der Staatsoper, wo einstmals Mary Wigman ihre Schule leitete, präsentiert. Zunächst „R349-178“ von Janyce Michellod, dann „4MEN, ALICE, BACH AND THE DEER“ von Yossi Berg und Oded Graf. Steht im Titel des ersten Stückes der Buchstabe „R“ für Raum, bedeuten die Zahlen, dass wir in diesem klinisch hellen Labor mit weißem Boden 171 Veränderungen der Wahrnehmung innerer und äußerer Räumlichkeiten empfinden werden? Es ist besser, wir lassen solche Überlegungen. Wir sehen einfach zu, besser noch hin, und dies so genau als möglich. So werden wir am Ende, nach gut 45 Minuten, auch nicht wissen, was die Protagonisten dachten, fühlten und empfanden, aber unser Denken, Fühlen und Empfinden dürfte auf keinen Fall ärmer geworden sein.

Zu hören gibt es auch etwas. Eine Schichtung von Klängen, deren Herkunft ich nicht ausmachen kann, bildet mit wahrnehmbaren Veränderungen ein Kontinuum, umschließt den Raum temporärer Arbeit mit den Schwingungen des Unaufhörlichen. In solcher Art der Konzentration des Raumes und des Klanges kommen ihre Facetten des Bildes und der Bewegung hinzu. Da ist die faszinierende Sensibilität der Tänzerin und des Tänzers, Janyce Michellod und Stefan Beier, die ihren Varianten der Korrespondenzen untereinander, mit dem Raum, mit uns und vor allem mit den Möglichkeiten ihrer Veränderbarkeit körperlicher Wahrnehmung ein hohes Maß an Sinnlichkeit zu geben vermögen. Sie sind so wunderbar bei sich, dass ich gar nicht anders kann, als darauf zu vertrauen, dass sie in ihren Bewegungen einer geheimen Ordnung folgen. Im Kontrast dazu der Stillstand der vielen weißen Würfelobjekte, die Bruno Michellod immer wieder neu zuordnet und mit schwarzem Filzstift Zeichnungen darauf weiterführt. Die Energien des Tanzes und der Bildkunst verbinden zudem ihre Geräusche, das Kratzen des Stiftes, das Knarren des Bodens. Spannungen bauen sich auf durch die unterschiedlichen Maße, weit und mitunter raumgreifend, dann wieder gänzlich in sich gekehrt die Tänzer, nah am Objekt, im eigenen Raum innerhalb des großen Raumes, der Zeichner, aber ebenfalls den Raum dominierend, wenn er seine „Körper“ neu ordnet. Berührungen sind selten und finden erst gegen Ende statt, das macht sie kostbar. Nichts Ganzes fügt sich. Keine Vollendung, kein Finale, kein Triumpf. Eine stille Arbeit, hoch emotional und verletzlich, in ihrem Verzicht auf Effekte kostbar.

Nach der Pause, nicht ganz so hell auf der Szene, ein präparierter Hirsch im Lichtkreis. Das Tier macht einen bemitleidenswerten Eindruck. Verwundet, erschöpft, in seinen letzten Zügen? Dann begeben sich vier Hirsche im Balzgebaren auf die Pirsch. Welch wunderbarer Widersinn, sie bedienen sich genau der Mittel, deren tödliche Wirkung das Bild vom toten Hirsch demonstriert. Yossi Berg und Oded Graf haben ein Männerstück choreografiert und das wird von ihnen zusammen mit Sergiu Mathis und Thomas Michaux äußerst rasant in einer Mischung aus Show und Kampftechniken, geradezu klassisch anmutenden Kombinationen, solistisch oder in unterschiedlichen personalen Varianten, abgebrannt wie ein tänzerisches Feuerwerk in etwas mehr als 30 Minuten. Musik von Bach, Violine solo, gemixt mit Sounds aus swingender Unterhaltung und Elektronik.

Vier Männerhirsche in Anzügen mit bunten Partyhemden darunter. Es kann los gehen. Am Ende ist Blut geflossen, der Hirsch ist tot, von Alice war die Rede, gesehen haben wir sie nicht, vier Männer sind abgetaucht in einen donnernden Disco-Daarkroom, haben die Sau raus und die Hosen runter gelassen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sie Frau sagen und sich selbst meinen, dass sie noch lange daran arbeiten werden, „ich“ zu sagen. Es gibt getanzte Szenen, da schreien die Körper nach Berührung, aber nur der Kampf ist das legitime Mittel, einander nahe zu kommen, in den Armen zu liegen. Ein faszinierender Tanz um Gewalt und Zärtlichkeit, Männer, Männlichkeit und das blutige Missverständnis, dass Liebe eigentlich ein Kampfsport sei. Zwei Arbeiten auf dem Weg, unterschiedlich eigenständig, jeweils erfrischend selbstbestimmt. Wenn es ein „Aber“ geben sollte, dann dahingehend, dass im ersten Falle darauf zu achten wäre sich nicht weiter von den Zusehenden zu entfernen und im zweiten Falle nicht noch stärker auf sie zuzugehen.

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