Der große Bach-Flickenteppich

Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ beim Bayerischen Staatsballett

oe
München, 26/12/2009

Es ist ein weiter Weg, den die Ballette zu Musik von Johann Sebastian Bach seit Balanchines „Concerto Barocco“ aus dem Jahr 1941 zurückgelegt haben. Wobei die verschiedenen Stationen über Lifar, Charrat, Harkarvy, Béjart, Robbins, Neumeier, Spoerli, Lin Hwai-Min und Schläpfer so verschiedenartig ausgefallen sind wie das kompositorische Oeuvre des Thomakantors. Eine der eigenwilligsten stellt das 1999 in Weimar für die spanische Compañia Nacional de Danza von Nacho Duato geschaffene Ballett „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ dar. Vom Bayerischen Staatsballett übernommen, hatte es jetzt im Münchner Nationaltheater Premiere, brisant getanzt von der Ivan-Liška-Kompanie, und bestätigte seinen Ruf als eins der originellsten Bach-Ballette des internationalen Repertoires. Wobei man sich lediglich gewünscht hätte, dass man seinen Titel leicht korrigiert hätte – nämlich in „Vielfalt. Formen von Bewegung und Stille“, entsprechend dem Gehalt seiner beiden Teile.

Denn es ist eine geradezu abenteuerliche Musikauswahl, die Duato für den Prolog und die 14 Nummern des ersten sowie die acht Nummern des zweiten Teils getroffen hat: aus den Instrumentalstücken, den Kammermusiken und Orchesterwerken, den geistlichen und weltlichen Kantaten, beginnend und endend mit der Aria aus den Goldberg-Variationen – alles aus dem Lautsprecher (eine Praxis, die sich leider seit Hans van Manens „Adagio Hammerklavier“ eingebürgert hat, angeblich wegen der besonderen Qualität ihrer Interpretationen). Das lässt das Zwei-Stunden-Stück so kunterbunt wie ein Flickenteppich erscheinen … Und so bunt geht es auch in den nahtlos aneinander gebundenen Nummern zu – in den zahlreichen Pas de deux, den einzelnen Soli, kleineren Gruppen und großen Corps-Formation – wobei die Gestalt Bachs (Marlon Dino als ein wahrlich souveräner Herrscher über den Kosmos dieser Musik) als Bindeglied durch das ganze Stück geht.

Eine eigentliche Handlung gibt es nicht, eher anekdotenhaften Episoden, die man je nach persönlicher Fantasie mit dem Leben Bachs in Verbindung bringen mag – mit seinen Schülern, dem Johann-Sebastian-Jugendorchester, der Florettfechter-Equipe, der Gattin Anna Magdalena, den Kindern, im zweiten – ernsteren – Teil dann mit dem stets gegenwärtigen Tod (der hier eine Tödin ist) und dem genialen Finale im offenen Orgelbau (Bühne: Jaffar Chalabi): terrassenförmigen Ebenen, wenn sich die ganze Kompanie sozusagen im umgekehrten Schattenakt-Verfahren von unten nach oben arbeitet). Immer wieder gerät man ins Schmunzeln, denn Duato ist ein sehr humorvoller Mann, der voller überraschender Pointen steckt – und das nicht nur, wenn er Bach auf den zierlichen Körper von Giuliana Bottino wie auf einem Cello spielen lässt.

Aber alles ist aus der Musik abgeleitet, entspringt ihr – ja es ist, wie wenn sich die Choreografie als Körperstimme zu den instrumentalen und vokalen Stimmen gesellte, die die Musik sozusagen in die räumliche Dimension transponiert. Überwältigend! Und ist doch immer Tanz, ganz Tanz (übrigens ganz ohne „Spitze“), von den Tänzern des Bayerischen Staatsballetts mit hochgradiger Energie der S-Klasse aufgeladen. Und das nicht nur von so kristallinisch zugeschliffenen Ballerinen wie Zuzana Zahradniková und der wieder gern gesehenen Roberta Fernandes, Silvia Confalonieri und Séverine Ferrolier, sondern auch von ihren Partnern und namentlich von der Equipe der Florettfechter (deutlich inspiriert von Kyliáns „Sechs Tänzen“). Eine Art Kronjuwel in Repertoire des Bayerischen Staatsballetts. Wünschte, wir hätten ein derartiges Schmuckstück im Repertoire des Stuttgarter Balletts (es stünde aber auch dem Staatsballett Berlin gut an).

 

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