Das Heilige ist immer das Andere

Gonzalo Galguera erkundet tänzerisch den Mythos des Göttlichen

Magdeburg, 26/10/2009

Den Mut zum Außergewöhnlichen und Überraschenden, den Gonzalo Galguera in seinen Tanztheaterkreationen immer wieder unter Beweis stellt, ist bemerkenswert. Mit der Uraufführung seines Balletts „Heilig“ stellt der kubanische Ballettdirektor und Chefchoreograf der Magdeburger Ballettkompanie in beeindruckenden Bewegungsbildern Fragen nach dem Göttlichen in der Welt, nach dem Wesen des Glaubens und der Menschlichkeit. In der Form eines großen Welttheaters spürt er dem Phänomen des Heiligen nach und lässt in einer tänzerischen Kommunikation zwischen Askese und Meditation, Märtyrer und Mystiker, Opfer und Täter Menschen durch das Leben schreiten. Nicht zuletzt in seinem auch international erfolgreichem Ballett „Requiem“ hat sich der Choreograf zur Musik des Mozart-Requiems mit diesem schwierigen Thema auseinandergesetzt, das gerade heute in Zeiten der spirituellen Sinnsuche vieler Menschen, deren Ideale und Glaube abhanden gekommen sind, so wichtig ist.

Nicht nur die Wahl des Sujets, auch seine Erzählweise in metaphernreichen, symbolkräftigen, zuweilen sehr rätselhaften und kryptischen Bildern sind eine Herausforderung an den Zuschauer und stellen an das junge, mit zwölf Tänzern aus sieben Nationen nahezu völlig neu formierte Ensemble allerhöchste Anforderungen. Auswahl und Zusammenstellung der Musik von Anonymus, Giovanni Battista Pergolesi, Franz Schubert, Franz Liszt und Michael Gordon als einem Vertreter der Minimal Music sind ebenso ungewöhnlich wie reizvoll. Musikalisch bebildert wird die als tänzerische Passion angelegte Sinnsuche einer als „Sohn“ bezeichneten, imaginären Person durch die Magdeburgische Philharmonie unter der Leitung von Michael Lloyd, Opernchor und Mitgliedern des 1. Freien Deutschen Opernchores Caruso (Einstudierung: Martin Wagner) sowie den Solisten Iago Ramos (Tenor), Paul Sketris (Bass), Lucia Cervoni (Mezzo) und Hale Soner (Sopran); ihr Mitwirken ist für die hoch motiviert tanzende Kompanie das Besondere dieser außergewöhnlichen, vom Premierenpublikum mit frenetischem Jubel gefeierten Aufführung.

Deutlich wollen Gonzalo Galguera und seine Assistentin und Ballettmeisterin Olga Illieva das gesamte tänzerische, vor allem technische Potenzial ihrer Kompanie zeigen. Dass dies in den komplizierten Gruppenarrangements, in den wie auf einem Schnittmusterbogen in Reihen und Diagonalen ausgeführten Bewegungen in immer neuen Verschränkungen und Verquerungen von Armen und Beinen, in den bodennahen Figuren mit akrobatischen Einsprengseln, in den sich komprimierenden und auflösenden Menschenknäueln zwischen Gruppe und solistischen Heraushebungen nicht immer fehlerfrei und mit der gedachten Synchronität ablief, ist sicher auch der Komplexität von Choreografie und Inszenierung geschuldet, die den vielstimmigen, wunderbar singenden und präzis agierenden Chor und das Solistenquartett auf der Bühne mit einbeziehen.

Gonzalo Galguera und seinem Team aus Juan Leòn (Bühnenbild), Julia Danilenko (Kostüme) und Norbert Robel (Lichtdesign) gelingen trotz einiger dramaturgischer Schwächen beeindruckende Bilder, wenn sie die mit „Aufbrechen – Hingeben – Mitleiden – Anbeten – Entsagen – Überschreiten“ betitelten Szenen dieser Heiligen-Passion zusammenfügen. In der wuchtigen, an eine Kathedrale erinnernden überdimensionalen Spiegelfläche über der Szene wird zunächst wie in einem Kaleidoskop das Bild des heiligen Franz von Assisi als Symbol des Mitleidens, Hingebens und Anbetens reflektiert, und später zur Musik des amerikanischen Komponisten Michael Gordon die in Schwarzweiß-Ästhetik getanzten Bilder von der Entsagung. Hier hat die Aufführung ihre inszenatorischen und emotionalen Höhepunkte, wie auch in den eindrucksvollen solistischen Eskapaden mit Fackeln (Juliane Krüger, Andreas Loos, Mathias Kass, Kirill Safronov, Jake Burdon) und ebenso in den von Lucia Cervoni und Hale Soner gesungenen Ausschnitten aus Pergolesis „Stabat mater“. Als Metaphern des Mitleidens färben sich die weißen Gewänder blutrot. Mit dem von Iago Ramos hinreißend interpretierten „Psalm 13“ von Franz Liszt vollendet sich zum ausgefeilten, wunderbar schwingenden Klang des Chores und dem subtil spielenden Orchester dieses Tanzepos als ein Mythos von der Kraft des Glaubens. Ein beeindruckender Ballettabend von philosophischer und religiöser Tiefe und Wahrhaftigkeit.

www.theater-magdeburg.de

www.gonzalo-galguera.de

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