Vertrauensvolle Begegnung

4. TanzZeit-Werkstattpräsentation & Runder Tisch Kulturelle Bildung im Radialsystem

Berlin, 03/06/2009

Im vollbesetzten großen Saal des Radialsystem spendeten Eltern, Lehrer, Geschwister und Freunde viel Beifall: für die 7. Klasse der Kepler-Oberschule Neukölln, die zu brasilianischen Trommeln und arabischem Popmix über das Glück reflektiert, für das starke Jungen-Sextett einer 8. Klasse der Rütli-Schule, die lebendigen „Zilp Zap“-Tanzkinder der 5a der Regenbogen Grundschule, das sehr musikalische „Kochrezept“ der Grundschüler der Adolf-Glaßbrenner Schule Kreuzberg oder für das sensible Stück über Außenseiter und Cliquen der 4. Integrationsklasse der Comenius-Grundschule aus Charlottenburg. Weiterer Höhepunkt war die beeindruckende Uraufführung von „Crossing the Line“ durch die Jugendcompany. Die 2008 gegründete Jugendcompany von TanzZeit vereint Jugendliche aus sechs verschiedenen Nationen mit ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründen. In nur drei Wochen intensiver Probenarbeit mit der britischen Choreografin Jo Parks entstand „Crossing the Line“, das diese sehr unterschiedlichen biografischen Grenz-Erfahrungen in Tanz und Text überzeugend thematisiert und interpretiert.

Zum vierten Mal präsentierten mehr als 600 Kinder und Jugendliche der Berliner Initiative „TanzZeit“ in Schulen (Schirmherrschaft Sasha Waltz) in der letzten Maiwoche ihre Arbeiten, die im laufenden Schuljahr als implementierter Teil des Unterrichts an Grundschulen, Hauptschulen und Gymnasien entstanden sind. Kulturelle Bildung muss allen Kindern aller Schichten eingebettet in den regulären Unterricht zu Gute kommen. Der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz bejahte diese Notwendigkeit einer breiten gesellschaftlichen Verankerung von Tanz und bekräftigte die Absicht des Berliner Senats: „Ab 2010 wollen wir die Dauerfinanzierung von TanzZeit durch die Bildungsverwaltung“. Dem schloss sich Claudia Zinke (Staatssekretärin für Bildung, Familie und Jugend) an: „Die Freude am Tanz schafft Erfolgserlebnisse und stärkt die personalen und sozialen Kompetenzen der Kids“. Das Projekt „TanzZeit“ wurde 2005 von der Tänzerin und Choreografin Livia Patrizi gegründet. Zusammen mit einem Team aus Künstlern und Pädagogen haben bisher mehr als 300 Schulklassen aus 80 Berliner Schulen und damit mehr als 6000 Kinder und Jugendliche teilgenommen. Vielfältige Kontakte zu Schulleitern, Lehrern und Eltern sind entstanden, ebenso vielfältig sind die Erfahrungen in Abhängigkeit von der jeweiligen Kunstform, der Schulform und dem personalen Kontext.

Am zweiten Werkstattabend diskutierte eine hochkarätig besetzte Expertenrunde mit dem Publikum aus verschiedenen Perspektiven über „Erfolg und Scheitern im Bereich der Kulturellen Bildung“. Wir sollten „Chancen inszenieren und viele Möglichkeiten schaffen, um die Erfahrung von Erfolg und Scheitern in die Hand der Jugendlichen zu legen“, betonte der Münchner Kulturpädagoge Wolfgang Zacharias. Das bedeutet auch mit Professionalität zu punkten. Winfried Kneip, Geschäftsführer der Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland, verwies auf die 10-jährige Arbeit am musikalischen Projekt „Muse“ und die Notwendigkeit, Künstler wie Lehrer zu trainieren und durch Koordinatoren zu begleiten:„Das Ganze lebt von Persönlichkeiten“. Einig war man sich in der Forderung, den Kindern und Jugendlichen durch vielgestaltige Zugänge zu Kunst und Kultur etwas zu zumuten, was sie noch nicht können. Sie brauchen Raum und Zeit, um ihre eigenen kreativen Ressourcen zu entdecken und zu erproben. „Verhaltensänderungen sind möglich, um in der hochkomplexen Gesellschaft klar zu kommen“, so der Hamburger Kunstvermittler Ulrich Schötker.

Kunstvermittlung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit kultureller Bildung. Momentan gibt es in der Bundesrepublik eine konstruktive und offene Debatte zur Erprobung neuer struktureller Bedingungen für ästhetische Bildungsarbeit an Schulen. Das stimmt hoffnungsvoll und impliziert zugleich vielfältige Fragen und Erfahrungen. Von wem werden die neuen Projekte erdacht? Was bedeutet die Ganztagsschule für die ästhetische Arbeit? Wo kommen die tausende Künstler her, die wir brauchen?

Livia Patrizi konstatierte angesichts oft fehlender Lehrer und desinteressierter Eltern die Wichtigkeit der empathischen Beziehung zwischen Schülern und Künstlern. „Wichtig ist, ob Künstler es schaffen, den Kindern in der gemeinsamen Arbeit vertrauensvoll zu begegnen, jenseits vom künstlerischen Resultat“. Mit viel Leidenschaft unterstrich der britische Choreograf und TanzZeit-Mentor Royston Maldoom: „Kunst und Tanz sind nicht in 45 Minuten pro Woche zu schaffen. Ein Künstler kann nicht im Kurzeitschulrhythmus funktionieren. Tanz an der Schule ist keine soziale Arbeit im normalen Sinne, sondern Kunst. Es geht hier nicht um den schnellen Erfolg, das Beklatschen von bekannten Tricks. Tanzende Kinder erleben sich und das Publikum und lernen, dass sie in einer Welt leben, in der auch andere Menschen leben. Jedes Kind ist einmalig, aber es weiß es noch nicht. Wir müssen als Choreografen wach sein, um diese Türen zu öffnen.“ All dies war Teil einer offenen spannenden Debatte, die unterschiedliche Herangehensweisen an kulturelle Bildung engagiert thematisierte und an der sich das Publikum ebenso engagiert beteiligte.

Link: www.tanzzeit-schule.de

Kommentare

Noch keine Beiträge