„Wehe, wehe, welches Ende“ – Zwei Tanzstücke nach Wilhelm Busch

„Max und Moritz“ von Irene Schneider, „Die fromme Helene“ von Jutta Wörne

Gießen, 06/10/2008

Die Tanzkompanie des Stadttheaters Gießen ist zur Hälfte neu besetzt und die Auswahl der Tänzer hat der choreografische Direktor Tarek Assam offenbar mit Blick auf das erste neue Tanzstück dieser Saison getroffen. Obwohl „Wehe, wehe, welches Ende“ gar nicht von ihm stammt, sondern von zwei Gastchoreografinnen: Irene Schneider, 2006 ausgeschiedene Tanzdirektorin des Balletts am Landestheater Magdeburg, und Jutta Wörne, seit 2004 Tanzdirektorin am Theater Nordhausen. Drei Jahre nach dem erfolgreichen „Tango“ von Gabriel Sala wollte das Gießener Stadttheater wieder mal ein Tanzstück für die ganze Familie haben. Dafür wählte man als Thema zwei Bilderbuchgeschichten von Wilhelm Busch: die allseits bekannten bösen Buben „Max und Moritz“ und die weniger bekannte „Fromme Helene“, die Busch für Erwachsene schrieb. Mit beiden Choreografinnen kooperiert Assam seit Jahren im Rahmen des Austauschfestivals TanzArt ostwest.

Bei „Max und Moritz“ holten die Gießener die Inszenierung von Irene Schneider, die sie 2005 für Magdeburg erarbeitet hatte und die als Ballett für Kinder großen Erfolg hatte. Anstelle der klassischen Ballettkompanie wie in Magdeburg, studierte Schneider in Gießen mit einer kleineren Kompanie des zeitgenössischen Tanzes. Die Zusammenarbeit verlief höchst zufriedenstellend, die Gießener Tänzer zeigten sich sehr experimentier- und spielfreudig. Vor allem die Tänzertypen brachten Neues in die Choreografie, wie Schneider selbst sagt. Die Figuren von Schneider Böck und Lehrer Lämpel etwa, die Wilhelm Busch als überlange, dürre Karikaturen schuf, stehen leibhaftig auf der Gießener Bühne. Die neuen Ensemblemitglieder Sven Gettkant und Meinert E. Peters bringen die passende körperliche Statur mit, die dicht am Original gestalteten Kostüme (Stephan Stanisic) leisten das Ihrige.

Auch das Bühnenbild von Eberhard Mathies trifft sehr genau die Zeichnungen von Busch, es ist als würde ein Bilderbuch lebendig. Die Musik von Jacques Offenbach verleiht dem Ganzen eine operettenhaft-schwungvolle Atmosphäre. All die beliebten Figuren treten auf, die Max und Moritz mit ihren Streichen ärgern. Voll ungebremster Energie wirbeln Svende Obrocki und Paul Zeplichal als Max und Moritz über die Bühne, ihr komisches Talent entfaltet Sue MacDonald als Witwe Bolte, die Hühner (Carine Auberger, Antonia Heß, Morgane de Toeuf) bringen mit ihrem Flügel schlagenden Gegacker alle zum Schmunzeln.

„Die fromme Helene“ ist von Jutta Wörne mit ihrer zeitgenössischen Tanzsprache verhaltener inszeniert. Figurenführung, Farben, Bühnenbild und Kostüme (Thomas Döll), alles ist abstrahiert, es gibt kein gesprochenes Wort. Körperliches Verlangen steht im Bühnenmittelpunkt, symbolisiert im Ehebett. Bei aller Komik lässt Wörne auch leise Zwischentöne erklingen in dieser Lebensgeschichte des Scheiterns. Das darstellerische Moment wird nicht als Abfolge von Einzelszenen umgesetzt, sondern im Rahmen einer durchkomponierten Erzählung. Als Klammer dienen zu Beginn und Ende Szenen in einem Tanzsaal, dort erliegt Helene den Verführungen des Lebens auf andere, quasi moderne Art. Die ausgewählte Musik von Ernest Tomlinson und Haydn Wood schaffen Musical-Atmosphäre. Carine Auberger tanzt eine fragile Helene, die als junges Mädchen frech und witzig, als erwachsene Frau strahlend und selbstbewusst ist, nach dem Tod von Ehemann und Geliebten ihre Verzweiflung im Likör ertränkt.

Vor allem die 14 Tänzer und Tänzerinnen gewinnen durch zwei so unterschiedliche Choreografien, sie können ihren tänzerischen Freiraum nutzen und in den diversen Rollen die Bandbreite ihres Könnens entfalten. Paul Zeplichal als herumalbernder Moritz gibt im nächsten Stück den von sich überzeugten, eleganten Verführer Franz. Svende Obrocki bietet einen kraftvoll-artistischen Moritz und macht die Tante Nolte zu einer Klamaukfigur. Die wieder zur Gießener Kompanie zurück gekehrte Magdalena Stoyanova verleiht auch Nebenrollen ihren besonderen Charme, sei es als tänzelnder eitler Spitz oder als wild geschmeidige Katze. Marian Anton bringt für die Onkelfiguren die kräftige Statur und die notwendige Komik mit. Victor Villareal Solis überzeugt ebenso als demutsvoller Pfarrer wie als angriffslustiger Teufel, Eoin Mac Donncha als bodenständiger Bäcker und tumber Schmöck.

Die Fülle der Gruppenszenen und Kostümwechsel gaukelt eine wesentliche größere Kompanie vor als sie es tatsächlich ist. Großer Applaus würdigte bei der Premiere am Samstag Abend die Leistung der bestens aufgestellten neuen-alten Tanzcompagnie Gießen. „Max und Moritz“ allein wird auch im Rahmen des Kinder- und Jugendtheaterprogramms gezeigt.

www.stadttheater-giessen.de / www.tanzcompagnie.de

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