Tanz mit der Zeit

Vier Leipziger Tänzer standen seit Jahrzehnten nicht mehr auf der Bühne - das Buch zum gleichnamigen Dokumentarfilm

Leipzig, 14/05/2008

Vier „Alte“, oder vornehmer gesagt: Senior/innen (Jahrgang 1927 bis 1943) haben es gewagt und sind wieder auf die Bühne gegangen, um zu tanzen. Wieder? Einen Fotografen, einen Keramiker und Sozialbetreuer, eine Buchhändlerin und, ja, eine Ballettpädagogin hat Choreographin Heike Henning um sich versammelt zu „Zeit – tanzen seit 1927 – Ein Tanzprojekt zwischen den Generationen“, das am 27. Februar 2006 im Kellertheater Leipzig uraufgeführt wurde. Dahinter stecken die Lebensgeschichten von vier Menschen, die zu DDR-Zeiten als Tänzer/Innen am Leipziger Opernhaus engagiert waren und nach dem Abschluss ihrer Karrieren unterschiedliche Wege gegangen sind: Ursula Cain und Christa Franze, beide 1927 geboren, Horst Dittmann (1943) und Siegfried Prölß (1934). Im Buch „Tanz mit der Zeit – Vier außergewöhnliche Lebensgeschichten“ schildert Marion Appelt die beteiligten Personen in Kurzbiografien und ausgiebigen Interviews, beschreibt den Fortgang der Projektarbeit. Ergänzt wird der Text durch Schwarzweißfotos, historische aus der aktiven Zeit der Tänzer/Innen, gegenwärtige von der Probenarbeit.

Kontraste ergeben sich nur bei den individuell geprägten Senior/Innen untereinander, sondern auch zu dem Lebensbild von Christine Joy Alpuerto Ritter und Timo Draheim, Tänzerin und Tänzer, die dem Projekt „beigemischt“ wurden. Was die älteren Vier hinter sich haben, den Übergang (Transition) vom Tänzerberuf in andere Erwerbszweige, steht den beiden noch bevor. Nachgedacht haben sie noch nicht darüber.

Ursula Cain, die bekannteste vom Quartett, blieb als Pädagogin beim Tanz, unterrichtete an der Ballettschule der Oper Leipzig, leitet die Amateurgruppe „Tanzkaleidoskop“. Weiter weg vom Tanz bewegte sich Christa Franze, die Buchhändlerin lernte, Rezitationsunterricht nahm, Gedichte schreibt. Im Dunstkreis des Balletts blieb Siegfried Prölß: Er studierte Fotografie und verlegte sich auf die Schwerpunkte Ballett, Mode und Natur. Eine Töpferlehre absolvierte Horst Dittmann, arbeitete erst als Keramiker und nach der Wende als Sozialbetreuer. Deutlich wird, dass bei den Möglichkeiten nach Beendigung der Tänzer/Innenlaufbahn die DDR die Nase vorn hatte gegenüber der BRD.

Zum einen erhielten die Tänzer/Innen nach 15 Bühnenjahren eine - wenn auch geringe - Rente, zum anderen wurden Umschulung sowie Studium unterstützt. Diese vorbildlichen Bedingungen wurden bei der Wiedervereinigung nicht übernommen.

Noch heute ist der Tänzerberuf in der Bundesrepublik nicht staatlich anerkannt, kann jede(r) eine Ballettschule eröffnen, wird die Kürze der Berufsausübung bei der Umschulung nicht besonders berücksichtigt: Zeichen für die mangelnde Wertschätzung eines Berufes, der in einmaliger Form künstlerische Gestaltung und körperliche Hochleistung miteinander vereint - und Zeichen für die Ferne der Gesellschaft zu diesem Bereich. Neue Bestrebungen, Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche aller Altersstufen zum Tanz zu bringen, geben Hoffnung, dass der Tanz dort angesiedelt wird, wo er hingehört: in der Mitte der Gesellschaft als ureigenste Ausdrucksform des Menschen, als die Möglichkeit Seele, Geist und Körper zu vereinigen.

Die Autorin befragt die Vier nach ihren Erfahrungen im Dritten Reich und in der DDR, nach der Ausbildung und der Arbeit im Ballettensemble. Daraus entsteht ein anschauliches Bild von Persönlichkeiten mit ungebrochenem Drang zum Tanz. Sehr lesenswert für Deutsche aus Ost und West.

Tanz mit der Zeit - Vier außergewöhnliche Lebensgeschichten, Marion Appelt Plöttner Verlag Leipzig, 2008, 19.90 Euro
Zu dem Thema wurde auch ein Dokumentarfilm „Tanz mit der Zeit
” von Trevor Peters gedreht.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern