Sinnestäuschungen und Illusionen

Philippe Decouflés DCA mit „Sombrero“ bei den Ruhrfestspielen

Recklinghausen, 05/06/2008

Seit er die Eröffnungs- und Schlussfeiern der Olympischen Wintersspiele von Albertville, 1992, mit seinen skurrilen Bildeinfällen aus Tanz und Akrobatik, Video, Licht- und Spiegeleffekten verzauberte, ist Philippe Decouflé ein Begriff in der Welt des Tanzes. Der 47-jährige Franzose mit dem schlaksigen Körper und dem stoischen Gesichtsausdruck hat in den Kompanien von Regine Chopinot, Karole Armitage und, nicht zuletzt, Alwin Nikolais getanzt, ehe er 1983 sein eigenes Ensemble, DCA, gründete, dem er auch heute noch als Darsteller angehört.

Bei den Ruhrfestspielen ist Decouflé ein gern gesehener Gast; sie haben schon 1996 seine Choreographie „DeCodex“ und zwei Jahre später sein Stück „Shazam“ gezeigt. In diesem Jahr ist im Ruhrfestspielhaus auf Recklinghausens grünem Hügel an fünf Abenden Decouflés jüngstes Stück „Sombrero“ zu sehen. Die Premiere war so gut wie ausverkauft.

Inhaltlich hält das Stück keineswegs, was der Titel verspricht. Zwar tragen Decouflé selbst und seine Darsteller in diesem Werk gelegentlich die riesigen mexikanischen Schattenspender, und zu Beginn wird der Eindruck einer mexikanischen Fiesta erzeugt. Doch geht es um den Hut im Grunde ebenso wenig wie um die Geschichte, die das Stück vorgeblich erzählt: das Märchen von Friedrich und Friederike, die sich um die ganze Welt nachlaufen und sich im Finale, das wie die gesamte Handlung von einem männlich-weiblichen Moderatorenpaar in französisch eingefärbtem Deutsch erzählt wird, endlich treffen.

Es geht vielmehr um das Spiel mit jenem Wort, das in der Vokabel „Sombrero“ steckt: „sombra“ (auf Spanisch), „ombre“ (auf Französisch), „Schatten“ (in der deutschen Übersetzung). Der Schatten hat es dem Choreografen angetan; 80 Minuten lang arrangiert er in „Sombrero“ Schattenspiele. Zunächst schickt Decouflé schwarz-weiße Paare auf eine im Wesentlichen aus einer weißen, quadratischen Tanzfläche und einer weißen Rückwand bestehenden Bühne (die später vor allem mit vielen Spiegeln und Projektionsflächen variiert wird). Komische Effekte erzielt er vor allem, wenn sich die schwarzen Schatten selbständig machen und von den weißen Originalen entfernen. Während vor der Bühne eine kleine Schar von Musikern mit Klavier, Keyboard, Elektrogitarre und Schlagzeug, sämtlich per Lautsprecher verstärkt, eine überwiegend softe Tonspur legen, lässt Decouflé seine sieben Darsteller auf der Bühne echte oder getürkte Schatten werfen, die blitzschnell ihre Konturen verändern.

Des Choreografen bester Einfall bleibt für längere Zeit die Verwandlung seiner eigenen Person in eine weniger Furcht erregende als groteske Dracula-Figur, ehe er sich zu dem entschließt, was er bei Nikolais gelernt hat und am besten kann: die Verwandlung der Bühne in einen psychedelischen Film. Mit raffinierten Projektionen und Spiegeleffekten schafft Decouflé für die letzte halbe Stunde des Stücks eine hyperreale Welt der Sinnestäuschungen und Illusionen. Die bleibt, allem verbalen Geklapper vom Risiko für Zuschauer und Ensemble zum Trotz, ein harmlos sinnfreier, in der Welt der Videoclips fast schon ein bisschen gestriger Augenschmaus. Dabei schreckt Decouflé nicht einmal vor plumpen Witzen zurück, wenn er in sein ansonsten ziemlich erotikfreies Spiel auf den nackten Hintern eines Mannes dessen Vorderteil projiziert und sein Glied halbwegs komisch hin und her baumeln lässt. Im Gedächtnis bleibt eine einzelne poetische Frage, mit der das Moderatorenpaar die verbale Vereinigung von Friedrich und Friederike kommentiert: „Heiraten Schatten in Weiß?“ Auf die Beantwortung solcher Fragen pflegten in der guten alten Zeit, als das Tanzen noch geholfen hat, manche Märchen einen Taler als Preis auszusetzen.

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