Romantische Klassik vom Feinsten

Pierre Lacottes „La Sylphide“ beim Hamburger Ballett

Hamburg, 08/12/2008

Wenn sie so getanzt werden wie gestern Abend in Hamburg, können selbst angestaubte romantische Klassiker einen unwiderstehlichen Charme entwickeln. „La Syphide“ in der Fassung von Pierre Lacotte hatte Premiere, und was die Hamburger Kompanie hier gezeigt hat, war vom Feinsten. Die Tänzerinnen und Tänzer, sonst eher in der klassischen Moderne geübt und mit allem gesegnet, was dazugehört (hohe Beine, weite Extensions, Tempo, Dynamik), entwickeln hier eine wunderbar gedehnte Langsamkeit, eine fein ziselierte Fuß- und Armarbeit – genau wie sie dieses Stück braucht, um seine Wirkung zu entfalten. Hier wird die Kunst im wahrsten Sinne auf die Spitze getrieben – „La Sylphide“ war das erste Ballett in Spitzenschuhen, die damals Marie Taglioni trug, die Primaballerina assoluta der Romantik.

Die Handlung ist mehr als trivial, aber eben genau so, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach all den Revolutionen und Unruhen, geschätzt wurde: Am Morgen seiner Hochzeit mit Effie wird James, ein schottischer Jüngling, von einer geflügelten Sylphide, einem Feenwesen, abgelenkt und verzaubert (1. Akt). Er folgt ihr in den Wald (2. Akt) und lässt sich von einer Hexe einen Zauberschal aufschwatzen, mit dem er die Elfe angeblich an sich binden kann. In Wahrheit jedoch verliert die Sylphide, als James ihr den Schal um den Körper windet, ihre Flügel und stirbt in seinen Armen. Währenddessen wird Effie von ihrem ungeliebten Verehrer Gurn zum Traualtar geführt, und James bleibt allein und verzweifelt im Wald zurück.

Dass man einen solchen Schmachtfetzen heute noch tatsächlich genießen kann, ist der Perfektion der Hamburger Kompanie zu danken – seit Wochen gecoacht und trainiert von den Pariser Étoiles Elisabeth Platel und Manuel Legris sowie von Pierre Lacotte höchstselbst. Sie alle haben eine großartige Arbeit geleistet, denn sowohl Corps de Ballet wie auch Solisten haben sich diese schwierige romantische Technik mit dem vorgeneigten Oberkörper, den fließenden Armen und der flinken Fußarbeit, die höchste Präzision erfordert, aufs Feinste angeeignet. Allen voran Hélène Bouchet, eine federleichte Sylphide von ätherischer Transparenz, mit wunderbar verzögerten Arabesquen, graziösen Armen und Händen und fantastischen Füßen. Lautlos schwebt sie über die Bühne – eine mehr als würdige Nachfolgerin der legendären Marie Taglioni. Fulminant an ihrer Seite der James von Thiago Bordin – hohe Sprünge, präzise Pirouetten, gekonnte Beinarbeit, und alles von edler Eleganz – da stimmt einfach alles.

Auch am „Schotten“-Pas de Deux von Leslie Heylmann und Yohan Stegli ist nichts auszusetzen, das Corps findet sich großartig in die Rolle des schottischen Landvolks, und die Mädchen im 2. Akt dann ebenso in die der sphärischen Sylphiden. Allesamt werden sie – trotz der recht anspruchslosen Musik Jean-Madeleine Schneitzhoeffers – musikalisch wunderbar getragen von den Hamburger Philharmonikern unter der bewährten und einfühlsamen Leitung des Meisters aller Ballettdirigenten: André Presser. Es ist John Neumeier zu danken, dass er sowohl dem Ensemble als auch dem Publikum die Gelegenheit gibt, dieses Meisterwerk der romantischen Klassik auf der Bühne zu sehen – in dieser Vollkommenheit dürfte das nur selten möglich sein.

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