Magisches Bildertheater aus Bauklötzen bei der spielzeit'europa

Sidi Larbi Cherkaoui & Shaolin-Warrior-Monks mit „Sutra“

Berlin, 07/12/2008

Protagonisten dieser solitären Produktion des Sadlers Wells London (Uraufführung am 27. Mai 2008) sind achtzehn Mönche des traditionsreichen Shaolin-Tempels und der 1976 in Antwerpen geborene Tänzer-Choreograf flämisch-marokkanischer Abstammung Sidi Larbi Cherkaoui. Der Zauber ihres Zusammenspiels entfaltet sich für eine Stunde in, auf und zwischen achtzehn Holzkisten und einer Metall-Box. Diese Baukasten-Landschaften von Ausstatter Antony Gormley interagieren mit den präzisen Bewegungsfolgen der Menschen.

Der elfjährige Mönch Shi Yanzhu wird, dank seiner unbekümmert ungezwungenen Existenz in allen Lebenslagen, seiner sich dem Publikum mitteilenden Lust am Spiel und an der Verwandlung, zum inszenierten Mittelpunkt eines beständig die Grenzen sprengenden Ichs innerhalb einer Gemeinschaft. Zwischen den Salti und waghalsigen Körperflügen der Mönche entstehen immer neue Spielwiesen für das Kind und seinen europäischen Freund.

Leitmotivisch sitzt der Junge mit Cherkaoui am Tisch oder allein am Boden und platziert Holzkästchen en miniature während mannshohe Holz-Boxen in der gleichen Anordnung durch die teils rasanten, teils behutsamen Aktionen der Mönche auf der Szene entstehen oder vergehen. Das Kind wandelt sich mühelos zum Äffchen in einem Holzboxen-Wald, zum kleinen Buddha im Zentrum einer von Mönchen behutsam aufklappenden Holzboxen-Lotusblume, zu einem menschlichen Winzling, der eine große Diagonale aus Holzboxen samt Männern wie beim Domino durch eine Fingerbewegung zum Umklappen bringt. Cherkaoui bewegt sich in seinen weiten Hosen, dem ausgewaschenem Jackett, T-Shirt und Turnschuhen wie ein Beobachter und Arrangeur. Er ist der Spielmeister und ermöglicht von seiner Metall-Kiste aus den Blick auf das Fremde.

Cherkaoui ist ein Clown, voll exzentrischer Bewegungslust. Er klebt seine Füße und Beine an die Metalldecke seiner Box, sitzt gewichtslos zwischen den Brettern, rutscht in den aberwitzigsten Verschlingungen um die eigene Achse. Er verzögert die Bewegungen, dehnt Phrasen wie ein Schlangenmensch, dreht auf dem Kopf, neben ihm ein Salto schlagender Mönch. Hip Hop und Kung Fu. Wenn der kleine Mönch mit ihm kopfüber in der Box tollt, wie ein Vogel auf seinen Schultern sitzt oder beide auf deren winzigem Dach stehend die schrumpfende Boxenwelt der Erwachsenen betrachten, gehört dies zu den schönsten Momenten.

Die Boxen sind Behausungen, aus denen Arme und Köpfe ragen und verschwinden. Mönche springen eruptiv aus der Begrenzung in die Welt oder sie legen sich regungslos in eine Sargwand. Ein Mix aus Tragik und Komik. Mit einem Bein steht Cherkaoui in seiner Metallbox, die sich jeglicher Bewegung verweigert, so sehr er sich auch abmüht, während neben ihm die Holzboxen in der Mönchsaktion präzis und leicht im Kreis wandern. Drei Schwertkämpfer drehen und springen gegen zwölf Stock-Kämpfer in erwartungsgemäß rasanter Schnelligkeit. Doch der Choreograf hat die Szene lakonisch verkürzt und gebrochen. Die Kämpfer liegen „tot“ am Boden und er selbst steigt mit drei Schritten kleiner und kleiner werdend in seiner Metallkiste abwärts. Das ist Slapstick von chaplinesker Qualität.

Wundersam auch die wandernden Kisten auf den nun schwarzen Beinen. Eine Art chinesisches Babajaga-Hühnerhaus-Labyrinth. Der Letzte sucht einen freien Stellplatz. Sekunden später stehen alle Boxen aufrecht wie Hochhäuser. Achtzehn junge Männer in schwarzen Anzügen schwingen sich mühelos auf die Dächer, blicken selbstbewusst nach oben. Wir sind nicht aufzuhalten. Wohin noch? scheinen sie zu fragen. Wachstum ohne Ende? verstehendes Lachen im Publikum. Am Schluss formieren die Boxen eine spaltlose Wand, aus der sich die Tore eines Tempels formen.

Die auftrumpfende Musik behält leider das letzte Wort im unbefriedigenden Schlussbild der Kung-Fu zelebrierenden Mönche. Die Musik von Szymon Brzóska für Klavier, zwei Violinen, Violoncello und Schlagzeug (hinter einer Gaze im Bühnenhintergrund live gespielt) ist hier wie im gesamten Stück durch ihre penetrante Dopplung der Affekte überflüssig. Denn die Aktionen der Protagonisten schaffen einen ganz eigenen Rhythmus, eine Musik der Körper in der Stille.

Vom 3. bis 5. Dezember 2008 feierten die Berliner in drei ausverkauften Vorstellungen eine exotische Kombination aus buddhistischer Kampfkriegerkunst und europäischem Theater als ein bildstarkes Spiel. Ein Spiel mit Bauklötzen, in dem die Welt des menschlichen Seins im ewigen Dualismus von Freiheit und Begrenzung, Ewigkeit und Vergänglichkeit, Statik und Bewegung erhellt wird.

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