Geflügelte Mittler

TanzArt ostwest startet mit Uraufführung „Die Welt der Engel“ und internationalen Gästen

Gießen, 10/05/2008

Auf die Idee des gegenseitigen Austauschs von Tanzstücken kam Tarek Assam in seiner Zeit als Ballettdirektor in Halberstadt/Quedlinburg, um die Tanzszene im Osten Deutschlands und Europas mit den anderen Tanzformen des Westens bekannt zu machen. Auf der Basis der gegenseitigen Einladungen und kostenfreien Gastspiele können auch kleine Häuser renommierte Gruppen aus anderen Regionen zeigen. Was 2001 begann, hat Assam zwei Jahre später auch an seinem neuen Wirkungsort, dem Stadttheater Gießen, erfolgreich installiert. Längst ist der Austausch zwischen Ost und West gegenseitig befruchtend, längst haben sich auch freie Kompanien in dieses Ringfestival eingeklinkt.

In Gießen zur Tradition geworden ist mittlerweile der Beginn mit einer hauseigenen Uraufführung. In diesem Jahr ist sie der „Welt der Engel“ gewidmet, gemeinsam erarbeitet wurde das Stück von Assam und Gastchoreograf Mirko Hecktor mit dem Videokünstler Hagen Biel. Mit Hecktor hat der Gießener Tanzdirektor bereits 2007 „Marlene“ inszeniert, eine Hommage an Marlene Dietrich. Auch mit Tanz auf Video hat er schon diverse Erfahrungen gesammelt. Bei der TanzArt 2006 brachte Kim Olson (Colorado) die Videokünstlerin Ana Baer Carillo mit, die beiden erarbeiteten ein Stück auf dem Karstadt-Parkhausdeck. Im vergangenen Jahr war der - ebenfalls schon zur Tradition gewordene - Spielort außerhalb der Theaterbühnen ein großes Kino, in dem diverse Tanzvideos und Life-Tanz zu Videos gezeigt wurden.

Nun also die Kooperation mit einem Videokünstler, der seinen Ideen während der Proben einbrachte. Die beiden Videoleinwände füllen die Rückwand der kleinen Gießener Spielstätte (Theater im Löbershof/TiL) und prägen die gesamte Atmosphäre. Das beginnt mit dem Blick auf Kinder, die auf dem Pflaster Engel malen, führt in die Himmelsferne oder auf nahsichtige Details wie Biene-auf-Blume. Vor allem aber wird der Blick auf das Treiben der geflügelten Wesen gelenkt. Der Tanz mit Flügeln zweier Tänzerinnen ist auf die Umrisslinien der Personen reduziert, so dass der faszinierende Eindruck von tanzenden Zeichnungen entsteht. Bewegte farbige Gemälde entstehen gar bei der Life-Übertragung von Tanzbewegungen auf die Leinwand und das in mehrfachen Doppelungen hintereinander. Es tanzt nur ein Teil der Gießener Kompanie: Svende Obrocki ist der weiße Engel, der bodenständig agiert, Antonia Heß als schwarzer Gegenpart setzt ungeahnte Energien frei, die zierliche Miranda Glikson ist als gelbfarbene Botschafterin allgegenwärtig, Paul Zeplichal gibt als Erzengel den kämpferischen Typ, Carine Auberger übernimmt die entrückte, manchmal wie ferngelenkt wirkende Gestalt eines Engels. Die Geräuschkulisse reicht von gesprochenen Bibelzitaten und Kirchengesang über Filmmusiken des SciFi-Genres bis zu Popsongs.

Für die farbstarken und mobilen Flügel-Kostüme sorgte Kristina Biedermann, die sich Inspirationen von Engeltypen verschiedener Kulturen holte. In der Darstellung dominieren die christlichen Engel mit Aktivitäten wie Botschaften ins Ohr flüstern oder Mahnungen per Zeigegestus überbringen. Das Choreografen-Duo will das übergreifende Thema einbeziehen, das in der Mittlerposition der Engel enthalten ist: Botenstoffe und Transmitter im naturwissenschaftlich-technischen Sinne. Ein hoher Anspruch, der nicht in jedem Fall visuell verständlich ist, aber dennoch auf spielerische Weise eine faszinierende Welt eröffnet.

Am zweiten Abend der insgesamt viertägigen TanzArt ostwest wurde im großen Haus der „Faust“ (Choreografie Tarek Assam) gegeben, eine umjubelte Adaption des Goetheschen Werks, die Anfang April uraufgeführt wurde (siehe unsere tanznetz-Kritik). Die ersten Gäste von außerhalb wurden anschließend in der Spätvorstellung im TiL vom Publikum mit herzlichem Applaus begrüßt und mit großer Begeisterung verabschiedet. Im Wechsel mit fantasievollen und witzigen Kurzstücken der neoklassischen Ballettkompanie des Theaters Nordhausen präsentierten sich mit sehr unterschiedlichen Tanzstilen und -auffassungen: Gudrun Lange von der gleichnamigen Tanzgruppe in Düsseldorf mit einem „Fernsehabend“, der aus Zappen bestand und zu einem ebenso amüsanten wie ernst stimmenden Tanz-Karaoke wurde. Robert Przybyl (Bremen) zeigte sein autobiografisch gefärbtes Tanzstück „CV“ (= Curriculum Vitae, d.h. Lebenslauf), für das er Choreografie, Video und Musik selbst geschaffen hat. Ein beeindruckendes Stück, das unterschiedliche Tanzstile zeigt, von Contemporary bis zu mechanischen Roboterbewegungen. Ein zartes Liebesduett zu Live-Musik von Pirly Zurstrassen brachte die Kompanie Irene K. aus Eupen (Belgien) mit, getanzt von Denise Gospodarek und David Golinval, während vom Physical Theater Warsaw ein leidenschaftlicher Geschlechterkampf geboten wurde, getanzt von Magdalena Stoyanova und Leszek Jan Stanek.

Link: www.tanzcompagnie.de

 

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