Butoh – ein weiter Weg!

Zu „BETWEeEN“, der neuen Tanzproduktion von Stephan Maria Marb und Tanja Zgonc

München, 20/10/2008

Der Titel zielt auf die Leere, die man im Zen-Buddhismus u. a. dadurch anstrebt, dass man durch die Praxis des Zazen eine Lücke im ständigen Zug seiner Gedanken findet und es zu vermeiden übt, gleich wieder auf den nächsten aufzuspringen und daran festzuhängen. Anders gesagt: Es geht darum, das unwillkürliche innere Radio zu kontrollieren und, im Idealfall, auszuschalten, weil dessen ständiges Laufen unsere bewusste Verbindung zum eigenen Ich und seinem unmittelbaren Sein im Hier-und-Jetzt verdrängt. Der Programmtext führt für diesen authentischen Zustand den Begriff „Mu“ an, der im Japanischen „keine Eigenschaften“ oder „Leere“ bedeutet und „dem anvisierten BETWEeEN sehr nahe kommt“. – So weit, so nachvollziehbar. Dennoch bleibt für uns der Butoh-Tanz mit seiner Ästhetik etwas Fremdes; darüber zu schreiben gar ein Wagnis.

Spartanisch wirkt der Uraufführungsraum im Schwere Reiter, Münchens idealem Spielort für solche Projekte. Auf der schwarzen Fläche der Bühne beginnt der Kontrabassist Stephan Lanius mit einer furiosen Improvisation. Es schließen sich minutenlange Sequenzen von Stefan Maria Marb und seiner slowenischen Partnerin Tanja Zgonc an, oft erdhaft-embryonisch gekrümmt, denn offenbar geschieht nichts ohne das Warten auf den ursprünglichen Impuls. Dann aber haben die Ansätze, die sich vor jedem Ankommen ins Nichts verlieren, suggestive Intensivität, denn alles kommt wirklich aus dem Moment. Als Marb rechts im Fade out des sensiblen Licht-Designs von Michael Kunitsch verschwindet und Zgonc links beleuchtet wird, spürt man sogar den leeren Raum, der zwischen ihnen bleibt. Die hinzukommenden Töne der Pianistin Masako Ohta sind präzise, aber ihr Klavierspiel gibt kein Volumen, sondern nur ein energetisches Skelett. Dazu bewegt sich Zgonc, wie eine Puppe in weitem Rock auf dem Boden sitzend, indem sie Luftlinien mit den Armen zeichnet und, mit dem Oberkörper weit und weiter schwingend, im „Between“ zu schweben scheint. Gleichzeitig müht sich Marb in einen schwarzen Mantel und um Orientierung. Dies alles dauert lange, ist aber nie langweilig, sondern, und dazu trägt die Pianistin bei, von exakter Punktgenauigkeit. Erst als neuerlich virtuos der Bass gezupft wird, richtet sich die Tänzerin zum Tanzen auf. Da ist kein Inhalt zu erkennen, aber auch kein Loch in der Bewusstseinslinie. Abruptheit und Nachschwingen erreichen bei ihr ein virtuoses Tempo. Dazu kommt eine Eruption von ihm und ein komischer Effekt, als er neben der weiter Tanzenden statisch bleibt.

In einer Filmsequenz spielt ein älterer Japaner mit einer ausdrucksstarken Puppe so, dass bei beiden die Ruhe und der unmittelbare Impuls aus ihr beeindruckt. Es ist Yoshito Ohno, als choreografischer Mentor für dieses Projekts gewonnen, der Sohn von Kazuo Ohno, der Anfang der 80er Jahre auch in München auftrat und damals als Legende des Butoh u. a. dadurch unvergesslich wurde, wie er nach seinen Vorstellungen viele Rosen als Dank entgegennahm – in seiner rituellen Poesie eine eigene Performance! Stefan Maria Marb und seine Partnerin sind bis zu den fernen Quellen vorgedrungen, wollten, dass Yoshito den Vater vergegenwärtigt. Und in der Tat: einer ihm vorgehaltenen Rose näherte sich die Puppe so suggestiv, dass das Zitat nicht zu verkennen war. Nach dieser Zäsur ist Tanja Zgonc, die ihren weiten Rock über den Kopf gebreitet hält, erblüht zu einer großen Blume, während Marb um sie auf dem Boden rollt, bis er zu ihren Füßen liegt. Sie schlägt den Rock vom Kopf herab, bricht aus ihrem bisherigen Kleid aus, das er sich nun anzieht. In der fremden Identität erklingt ihm die Harmonie eines Nocturne von Chopin. Aus dem retardierenden Erinnern, bei dem er noch in den Bewegungen der Partnerin gefangen scheint, findet Marb zum kraftvollen Spiel Masako Ohtas neue Bewegungen, bis der Rock von seinen Hüften rutscht und er nur noch er selbst ist.

Dunkel, erneutes Solo des Bassisten, beide Tänzer liegen auf dem in blauem Schimmer zu ahnenden schwarzen Boden. Man hört das zweimalige Schlagen eines Zen-Stocks, nichts passiert. Aber die Wachheit ist da, spürbar auch im Publikum! Im hochfahrenden Licht werden zwei nackte Körper sichtbar, sich mit weißem Schlamm beschmierend. Aus der Synchronität von Atmung und Bewegung erwachsen weiße Gestalten, die plötzlich monumental dastehen und ihren Weg zu gehen beginnen. Das wirkt, man kann es nicht bestreiten, wesenhaft! Beide sind einen weiten Weg gegangen. In das Rieseln von Wasser, Glas und Kieseln mischt sich elektronische Musik. Die zwei Gestalten drehen sich umeinander, bilden eine gemeinsame Plastik, integrieren ihre Bewussteinsreise in die Gegenwart. Schon ehe sich ihre Wege teilen, ist jeder auch einzeln wahrnehmbar, hinterlässt eine Spur, weiß auf schwarzer Fläche, am Ende wie ein japanisches Zeichen! Stefan Maria Marb und Tanja Zgonc haben nicht nur durch die kraftvoll-geschmeidige Ausführung imponiert, sondern sich auch durch ihr tiefes Eindringen in die Kunst des Butoh als Exegeten dieser fremden Welt empfohlen.

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