Boris Eifman - „Als Choreograf wird man geboren...“

Ein Filmporträt auf arte

Berlin, 09/06/2008

In seiner „Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts” ist er Jochen Schmidt keine einzige Zeile wert, während ihn das arte-Magazin als einen der „berühmtesten Choreografen unserer Zeit” feiert. Die Nichtbeachtung wird dem ganz und gar nicht Namenlosen ebenso wenig gerecht wie die kritiklose Überzeichnung seines Könnens. Der „charmante Tyrann”, wie einer seiner Tänzerinnen den Workaholic aus Rubtsovsk, Sibirien, im Verlauf des Film-Portraits einmal bezeichnet, gehört zweifellos zu den führenden Choreografenpersönlichkeiten in St. Petersburg – und als Direktor eines eigenen Tanztheaters, das mal Neues Ballett, mal Leningrader Ballettensemble, Leningrader Theater des zeitgenössischen Theaters, dann wieder Boris Eifman Ballett-Theater Leningrad hieß und sich jetzt wohl endgültig Eifman Ballet St. Petersburg nennt, hat der 61-Jährige „Mann in Schwarz” immer hart am Rande eines Nervenzusammenbruchs oder einer Herzattacke der damaligen Sowjetunion ein Tanztheater abgetrotzt, das ohne eine einzige öffentliche Kopeke, allein kraft seiner Einnahmen seit 1977 unübersehbar existiert: ein wahres Wunder, wenn man um die Bedingungen weiß, unter denen ein jedes seiner rund fünfzig Ballette entstanden ist.

Denn man muss nicht nur zum Choreografen geboren sein, wie der Untertitel der knapp einstündigen Dokumentation einen Kollegen zitiert. Als Choreograf ist man in einer so verantwortlichen Position wie Boris Eifman erbarmungslos zum Erfolg verdammt. Dass das nicht so einfach ist, kann man sich leicht vorstellen, und der inzwischen Ergraute macht daraus auch gar kein Hehl: „Immer schöpferisch zu sein, ist wohl das größte Problem eines jeden Künstlers... Jedes Mal, wenn ich in den Ballettsaal komme, sehe ich voller Angst die Tänzer, die von mir eine Offenbarung oder eine neue Choreografie erwarten. Ich versuche nicht daran zu denken, dass vielleicht der Tag kommt, an dem ich probe und nichts gelingt. An dem ich die absolute Hilflosigkeit eines Schöpfers spüre und weiß, dass mich die Inspiration verlassen hat.”

Noch ist der Tag nicht gekommen, und selbst für diese Zeit hat offenbar Eifman bereits vorgesorgt, wenn er sich eine neue Tanzakademie herbeiträumt, „in der nach einem neuen Lehrprogramm unterrichtet werden soll. Die Existenz verschiedener Tanztechniken wird zwar vorausgesetzt, ich aber will eine Synthese schaffen aus dem klassischen Tanz, der Moderne und den Errungenschaften des Sports”: ein Plan, der verdächtig nach dem klingt, den Martin Puttke in der jüngsten Ausgabe von ballet-tanz skizziert. Der scheidende Direktor des aalto ballett theater essen ist es denn auch, der sich in dem durchaus kritischen Film von Andreas Morell von der Neugründung („sofern sie denn gelingt”) die völlige Veränderung der russischen Schule erhofft – und damit eine Revolutionierung des klassischen Tanzes.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch probt Eifman immer wieder bis zum Umfallen an seinen Balletten (hier die „Möwe” und „Der russische Hamlet”) – mag sein, indem „die Leute vernichtet, wenn er mit ihnen bis zum Verschleiß arbeitet” (wie Vladimir Malakhov erzählt, der am Staatsballett Berlin seinen „Tschaikowsky” verkörpert). Doch offenbar sind seine Tänzer und Tänzerinnen allesamt Masochisten genug, dabei sogar noch Lust zu empfinden.

Gekündigt hat deswegen offenbar noch niemand. Seiner Kreativität wegen geschätzt, akzeptieren sie auch eine Strenge, die sich nie an der Person, sondern immer am Werk orientiert. Deshalb teilt sich das Glück, das er empfindet, auch seinem Ensemble mit: „Für mich ist es höchstes Glück, ... dass ich diese Gottesgabe in mir fühle, und dass ich das Leben der Verwirklichung dieser Gabe gewidmet habe.“

Heute auf arte, 22.25. Wiederholungen: 15. 6., 6.00 h, und 24. 6., 5.00 h

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