„Ballett kann kämpfen“

„Die Möwe“ von Boris Eifmann im Prinzregententheater

München, 22/10/2007

„Ballett kann kämpfen“ war einst der Schlachtruf des Tanzrevoluzzers Hans Kresnik. Ballett kann auch Gutes tun - wie die Altenhilfe Moskau e. V. mit ihren wiederholten Einladungen von Boris Eifmans renommiertem St. Petersburger Ballett Theater beweist. Eifmans jüngstes Werk „Die Möwe“ (nach Tschechow) entfachte soeben im Münchner Prinzregententheater wahre Applausstürme. Besser geht's gar nicht: vom Gastspiel-Erlös kann alten, vom wieder reich gewordenen Staat vergessenen Moskauern geholfen werden. Und das Publikum - zum guten Teil die hiesige russische Gemeinde - hatte ein schönes Erlebnis.

Ein hochästhetisches allemal. Eifmans Tänzer, und noch pointierter diese von klein auf schlankgezüchteten Ballerinen-Rehe, machen mit atemberaubender Leichtigkeit all die hochartistischen Sachen, die der Meister ihnen abverlangt. Eifman hat nämlich die Geschichte aus dem Milieu der Schauspieler und Schriftsteller in die Welt des Balletts verlegt. Da stehen sich also Trigorin, Choreograf der neoklassischen Schule, und Treplew, der Avantgardist, in aggressivem Ehrgeiz gegenüber. Chance für Eifman, seine Truppe in der dynamisch angeheizten Neoklassik der 80er Jahre (Forsythe lässt grüßen) über die Bühne zu schicken - während Treplew in expressionistischen Körperexaltationen sich solo auf die Suche nach neuen grenzüberschreitenden Formen begibt. Oder seiner Mutter Irina Arkadina ein unter Stretch-Tüchern (Alwin Nikolais lässt grüßen) bizarr sich wölbendes bildnerisches Tanztheater vorführt. Oder schließlich mitsamt seinen in Streetdancers verwandelten Adepten eine feurige HipHop-Nummer hinfetzt.

Unübersehbar: Eifman ist ein bekennender Eklektizist. Zu diversen Kompositionen von Rachmaninow und Skriabin, letztere auch elektronisch verfremdet, hat er für die in ihren Gefühlen und Begierden sich überkreuzenden vier Hauptfiguren - Trigorin, Arkadina, Treplew, Nina - eine Fülle von Soli und Pas de deux entworfen. Und auch hier türmt sich, ungebremst, auf Arabesque und Pirouette noch Variété-Equilibristik und Hollywood-on-Ice-Bravour. Aus diesem wuchernden Stil-Mix leuchtet manche Perle heraus. Aber der 61jährige Eifman, „Volkskünstler Russlands“ und mit vielen weiteren Orden und Preisen dekoriert, ist ein Phänomen für sich, eine Art russisch maßloser doppelstöckiger Béjart-Petit. Das Publikum liebt ihn, folglich muss man ihn wohl nehmen, wie er ist.

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