Wo vorn hinten und hinten vorn ist

Das Buch über Meg Stuart und Anne Teresa de Keersmaeker

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Stuttgart, 08/08/2007

Schwer zu sagen, wo hier vorn und wo hinten ist! Denn es kommt ganz darauf an, wie man das Buch hält. Der vom K. Kieser Verlag beigelegte ‚Waschzettel‘ nennt als Titel „Meg Stuart – Anne Teresa de Keersmaeker“. Die Autorinnen sind Irmela Kästner (Text) und Tina Ruisinger (Fotografie). Es hat 192 Seiten, kostet 30 € und ist registriert unter ISBN 978-3-935456-15-9. Und so liest man auch den Titel auf dem Buchrücken, wenn man den, wie bei Büchern üblich, auf der linken Seite vor sich hat. Dann allerdings steht „Anne Teresa de Keersmaeker“ auf dem Cover. Dreht man es um, ist der Buckrücken wiederum links, dessen Text, vorher von unten nach oben zu lesen, läuft dann umgekehrt von oben nach unten, und auf dem Cover steht jetzt „Meg Stuart“. Da kann man also fragen: Handelt es sich bei Meg Stuart um die umgekehrte Anne Teresa de Keersmaeker – oder vice versa: Ist Anne Teresa de Keersmaeker die auf den Kopf gestellte Meg Stuart?

Doch Scherz beiseite: es handelt sich eigentlich um zwei Bücher in einem Band, den man einmal so und einmal so liest. Die Rangfolge ist nicht zwingend vorgeschrieben. Keersmaeker präsentiert sich auf dem Cover in blau, Stuart in einem bräunlichen gelb. In der Mitte steht ein Text von Johan Reyniers, dem Künstlerischen Leiter des Brüsseler Kaaitheaters, der zu beiden Künstlerinnen enge Beziehungen unterhält, und dessen Haus ja seit langem als eine Zentrale des avantgardistischen Tanzes fungiert – nicht nur für Belgien, sondern für die ganze Welt. Es ist ja auch erstaunlich, wie viele Tänzer und Choreografen von höchst individuellem Profil dieses relativ kleine, noch dazu in zwei total unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aufgeteilte Land hervorgebracht hat – und noch immer hervorbringt – siehe, als jüngste Starpersönlichkeit von internationalem Format Sidi Labi Cherkaoui.

Reyniers zitiert denn auch zu Beginn seines Textes seinen Landsmann Alain Platel: „Wenn im Tanz Pina Bausch für die siebziger Jahre steht, dann steht Anne Teresa de Keersmaeker für die achtziger Jahre und Meg Stuart für die neunziger Jahre.“ Und – so könnte man fortfahren: Stuart und Keersmaeker, die ja beide von ungebrochener Kreativität sind, zusammen mit Platel für das erste Dezennium des 21. Jahrhunderts. Beide Teile des Buches sind nach dem gleichen Schema gegliedert. Den ausführlichen Beschreibungen der Hauptarbeiten, in denen sich Kästner als eine sehr genaue, dabei gut lesbare Beobachterin erweist, mit exakten Schilderungen des künstlerischen Werdegangs beider Frauen als Tänzerinnen, Choreografinnen und Leiterinnen ihrer Ensembles (Keersmaekers mit Rosas – Stuart mit Damaged Gods) folgen weit ausholende Interviews, eine Auflistung ihrer Biografien und jeweils ein Werkverzeichnis (in etwas irritierender rückläufiger Anordnung) sowie ein Literaturverzeichnis. Dazwischen gestreut sind die meist ganzseitigen, oft sogar doppelseitigen Fotosequenzen, viele in Farbe, häufig in jenen angeschnittenen verwischten Formaten, für die ich mich nicht sonderlich begeistern kann, die aber nach Meinung anderer gerade die besondere Bewegungsqualität einer tänzerischen Phrase suggerieren. Als Art-Direktorin zeichnet Anja Lutz für die graphische Gestaltung verantwortlich – und es ist ein Buch aus zwei Büchern geworden, sehr einladend auch in seinem farblichen Layout, in dem man gern surft, ob nun von vorn nach hinten oder, umgedreht, von hinten nach vorn. Link: www.k-kieser-verlag.de

 

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